Was macht eigentlich …

... Martin Gehrer, ehemaliger Regierungsrat und Vorsteher des Finanzdepartementes?

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Ich wusste nicht so recht, worauf ich mich beruflich einlasse, als ich vor acht Jahren zur Überraschung vieler erklärte, 2016 nicht mehr zur Wiederwahl anzutreten. Existenzängste kamen dennoch nicht auf; ich vertraute darauf, für die eine oder andere Funktion in der Wirtschaft gefragt zu sein. Als Backoffice diente – und dient mir bis heute – ein anerkanntes Anwaltsbüro in St.Gallen. Als Jurist oder Rechtsberater wollte ich allerdings nicht tätig sein. Vielmehr wollte ich mein Wissen und meine Erfahrung in der Privatwirtschaft zur Entfaltung bringen.

Die erste Anfrage liess nicht lange auf sich warten, sie kam aber nicht aus der Wirtschaft, sondern von der Kirche. Noch als Regierungsrat wurde ich zum Präsidenten des Administrationsrates des Katholischen Konfessionsteils gewählt. Gleichzeitig Regierungsrat und Administrationsratspräsident ging aber nicht. St.Gallen durfte doch keinen Fürstabt mehr haben. Also musste ich mit dem Amtsantritt bei der Kirche bis zum Ausscheiden aus der Regierung warten. Dies störte mich nicht, denn ich war mit Leib und Seele Regierungsrat. Die wöchentlichen Regierungssitzungen machten mir ebenso Spass wie die Aufgaben als Departementsvorsteher und die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden.

Gleichwohl habe ich das Ausscheiden aus der Regierung nie bereut, auch deshalb nicht, weil mich in der Wirtschaft spannende Aufgaben erwarteten. So bin ich bis heute in mehreren KMU als Verwaltungsrat tätig, in einer Grossgärtnerei, im grössten Milchverarbeitungsbetrieb der Ostschweiz, in einer Liegenschaftsverwaltung und einem Engineering-Unternehmen für Gebäude und Energie. Da wird es einem nicht langweilig.

Kaum je erlebte ich so viel Dankbarkeit und so überbordende Emotionen.

Und doch bleibt Zeit für gemeinnützige Aufgaben. So durfte ich den Trägerverein präsidieren, der letztes Jahr für Special Olympics Switzerland die «National Summer Games St. Gallen» für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung organisierte und durchführte. Kaum je erlebte ich so viel Dankbarkeit und so überbordende Emotionen wie an diesem Grossanlass. So gross der zeitliche Aufwand auch war, jede Minute hat sich gelohnt.

Ich bin jetzt 66 Jahre alt. Udo Jürgens hat gesungen: «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.» So weit würde ich nicht gehen, aber ich bin glücklich und dankbar, noch fit und unternehmungslustig für meine vielfältigen Aufgaben, Herausforderungen und Interessen zu sein. Gleichwohl ist der Freiraum, insbesondere seit dem Rücktritt aus dem Administrationsrat vor drei Jahren, grösser als seinerzeit in der Regierung. Die Wochenenden und die Abende bleiben meist frei.

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So komme ich häufiger zum Lesen, zum Velofahren und zum Reisen in alle Welt. Und letztes Jahr habe ich sogar ein Buch geschrieben, aber weder einen Krimi noch einen Leitfaden durch die Politik. Auch die Fasnacht kommt darin nicht zur Sprache, jedenfalls nicht die St. Galler Beizenfasnacht, in der ich bis zur Coronapandemie 28 Jahre lang gemeinsam mit dem Bruder und später dem Sohn als Lästerzunge unterwegs war. Wer weiss, vielleicht gibt es ein Revival. Zum Lästern ist man bekanntlich nie zu alt.