Was bleibt?

Diverse Autorinnen und Autoren
Titelbild: Benjamin Manser

Was bleibt?

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Titelbild: Benjamin Manser

Führt Corona zu einem Umbruch? Was hat sich 2020 das erste Mal gezeigt? Was wird man 2050 über das ausgehende Jahr sagen? Stimmen aus Architektur, Wirtschaft, Bildung und Sozialem.

Wie beeinflusst das Virus unsere künftige Lebensform? Wenn sich das Büro nach Hause verschiebt, ist das Büro nicht mehr Büro und das Zuhause nicht mehr nur das Zuhause. Diese Verschiebungen ermöglichen eine neue Sicht auf unsere Lebensformen. Daraus leite ich drei Thesen ab. Erstens zu den Randregionen: Jeder auch noch so abgelegene Ort kann durch das Highspeed-Internet wieder zum Arbeits­platz werden, da physische Präsenz unwichtig ist. Auf den landschaftsfressenden Ausbau der Infrastrukturen wie S-Bahnlinien und Schnellstrassen kann verzichtet werden. Zweitens zu den Städten. Städte in der Art wie von Le Corbusier in den 1930er-Jahren proklamiert – aufgeteilt in Quartiere des Arbeitens, des Schlafens und des Vergnügens – gibt es nicht mehr. Das Leben findet wieder an einem Ort statt, Kernstädte sind bewohnt und lebendig. Drittens zu den Wohnungen. Sie werden heute oft nur zum Schlafen genutzt, werden nun ganztags belebt. Räumlich offene Wohnformen wie beispielsweise Lofts müssen unterteilt und in kleinteiligere Strukturen zurückgeführt werden. Abtrennbare Bereiche als Rückzugs- und stiller Arbeitsort werden notwendig, um neben dem Familien- auch dem Berufsleben nachgehen zu können.

Michael Fischer, Kantonsbaumeister, Baudepartement

Wohl die meisten von uns werden durch die Corona- Pandemie zum ersten Mal im Leben mit einer grundlegenden Krise konfrontiert, welche persönliche Aspekte unseres Alltags unmittelbar bestimmt. Auch die Wirtschaft wurde im Jahr 2020 in beispielloser Manier durchgeschüttelt. Gleichwohl ist sie aber besser auf den Umgang mit Verwerfungen und Umbrüchen vorbereitet. Schliesslich hat sie alleine seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs rund ein halbes Dutzend mittel- bis schwere Krisen durchlebt. Firmen sind verschwunden, neue Betriebe sind entstanden, wiederum andere haben sich neu ausgerichtet. Wo aufgrund äusserer Umstände nicht mehr in der gewohnten Art gearbeitet werden kann, entstehen Innovationen. Meist in Form neuer Angebote oder von Prozessen, welche weiterentwickelt bzw. effizienter gemacht werden.

Corona dürfte zweifellos dazu führen, dass die Digitalisierung der Wirtschaft weiter vorangetrieben wird. Dies betrifft sowohl Vertriebskanäle als auch die Arbeitswelt. Nicht wenige Betriebe, welche vor Kurzem gegenüber Homeoffice noch skeptisch eingestellt waren, dürften die Vorteile nun schätzen gelernt haben. Derweil werden sich die einen oder anderen Arbeitnehmenden aufgrund dieser Erfahrungen wünschen, bald an ihre früheren, ergonomisch eingerichteten Arbeitsplätze zurückkehren zu dürfen.

Adrian Schumacher, Stabsmitarbeiter Amt für Wirtschaft und Arbeit, Volkswirtschaftsdepartement

«Jetzt lernen wir mehr als die Schülerinnen und Schüler»! Diese wunderbare Aussage machte eine Lehrperson, als sie während des Fernunterrichts unser Lernfördersystem Lernlupe entdeckte. Ich bin mir bewusst, dass mein Kommentar gleichzeitig eine Wertung ist: Wenn alle bereit sind zu lernen, werden die Lernfördersysteme einen sicheren Platz im Schulalltag einnehmen. Geht es doch darum, dass diese elektronischen Hilfsmittel uns dort unterstützen, wo sie etwas schneller und besser können. Viele Lehrpersonen haben während des Fernunterrichts diese Vorteile entdeckt und wir haben viele positive Rückmeldungen bekommen. Trotzdem zweifle ich, dass mir in zwanzig Jahren jemand mit immer noch spürbarer Dankbarkeit erzählt, dass Lernlupe damals die ganz grosse Entdeckung war. Denn vieles, was bis anhin den Schulalltag ausmachte, ist dieses Jahr auf den Kopf gestellt. Die Begegnungen mit den Kindern finden nicht mehr wie gewohnt statt, die täglichen Rituale fehlen, die Spontanität, das Miteinander. Wirklich Essentielles aus meiner Sicht. Deshalb bin ich überzeugt, dass nach der Pandemie fast noch stärker die analoge Welt den Schulalltag prägen wird. Und ganz nebenbei – fast unbemerkt – wird die digitale Welt ihren Platz im Schulalltag bekommen.

Claudia Coray, Bereichsleiterin Lehrmittelverlag, Bildungsdepartement

Mit Regierungsrätin Laura Bucher besuchte ich diesen Sommer den Caritas-Markt in St. Gallen. Hier können Menschen mit wenig Geld Lebensmittel und Artikel des täglichen Gebrauchs stark vergünstigt einkaufen. Dieses Angebot hat im Zuge der Corona-Krise einen enormen Zulauf bekommen. Der Besuch hat mir vor Augen geführt, dass Armut in unserer Wohlstandsgesellschaft oft nicht sichtbar und vielfach mit einer grossen Scham belegt ist. Im Kanton St. Gallen gelten statistisch zirka 70 000 Menschen als arm beziehungsweise armutsgefährdet, also rund 14 Prozent unserer Bevölkerung. Die Ursachen sind vielfältig: prekäre Arbeitsbedingungen, ein Arbeitsplatzverlust, eine plötzliche Erkrankung oder eine kinderreiche Familie und der Schritt in die Armut ist nicht weit. Diese Men­schen kamen bereits in der Vor-Corona-Zeit finanziell nur knapp über die Runden. Durch die wirtschaftli­chen Folgen der Corona-Krise haben sich die Situationen von Armutsgefährdeten in unserem Kanton nochmals zusätzlich verschärft. So kann eine 20-prozentige Lohneinbusse aufgrund von Kurzarbeit dazu führen, dass sie das finanzielle Gleichgewicht verlieren. Kommt hinzu: Oft wird solche Armut an die nächste Generation vererbt. Es muss deshalb heute und in Zukunft in unserem Interesse sein, dass sich Bevölkerung und Staat mit armutsgefährdeten Menschen solidarisch zeigen. Das hat uns Corona gelehrt.

Übrigens: Der Verkaufsrenner im Caritas-Markt sind kleine Kerzen. Sie werden oft für die Kinder gekauft. Denn mit einer kleinen Verzierung können sie als schönes und vor allem günstiges Geschenk für einen Kindergeburtstag verwendet werden.

Chompel Balok, Stv. Generalsekretär, Departement des Innern