Platz schaffen für gute Architektur

Das Interview führte Markus Wehrli, Mitarbeiter Kommunikation, Staatskanzlei, Foto: Thomas Hary

Pfalzbrief 2021 02 Michael Fischer 0002
Michael Fischer ist seit einem Jahr St.Galler Kantonsbaumeister. Der Architekt hat vom renommierten Basler Büro Herzog & de Meuron in die Verwaltung gewechselt. Ein mutiger Sprung. Michael Fischer über seine Ziele, über Architektur und die Kultur in der Verwaltung.

Michael Fischer, was ist gute Architektur und wem soll sie dienen? 

Gute Architektur erfüllt zwei Anforderungen. Sie hat selbstverständlich hohe Ansprüche an die Ästhetik, sie zeichnet sich aber genauso durch eine hohe Funktionalität aus. Wenn man als Architekt mit einer fixen Vorstellung an ein Projekt herangeht, wie dieses am Schluss aussehen muss, dann kommt es nicht gut heraus. Das Prinzip heisst «form follows function» – die Funktion bestimmt die Form. So entsteht gute Architektur.

Und wem dient sie?

Den Menschen. Gute Architektur folgt den Bedürfnissen der Menschen.

Wo gibt es gute Architektur in St.Gallen?

Die Jugendstilbauten in der Stadt St.Gallen finde ich sehr beeindruckend. Diese Wohnungen sind zwar über 100 Jahre alt, aber ihre Grundrisse mit ihren klaren Strukturen funktionieren auch heute noch. Ein aktuelles Beispiel gelungener Architektur ist zum Beispiel das neu erstellte landwirtschaftliche Zentrum in Salez.

Ist St.Gallen denn ein mutiger Kanton in Sachen Architektur?

Es gab im Bereich der Architekturszene sicherlich klingende St.Galler Namen – Quarella, Consoni, Benz-Engeler und weitere, deren Projekte schweizweit wahrgenommen wurden. Gute Architekten gibt es heute bestimmt noch, doch sind deren Namen nicht mehr so präsent. Auffällig ist, dass der öffentliche Diskurs über Architektur nur bedingt stattfindet. Vielleicht ist man zu wenig mutig oder man redet zu wenig über das, was man tut.

Was sind denn Ihre Visionen für den Kanton? Was würden Sie am liebsten bauen?

Ich fände es sehr gut, wenn man die Situation am St.Galler Bahnhof in den Griff bekäme. Heute ist dort an städtebaulich herausragender Lage ein grosser Parkplatz. Ich wäre froh, wenn wir dieses Problem zusammen mit der Erweiterung der Fachhochschule intelligent lösen könnten. Generell ist es mir ein grosses Anliegen, dass wir die Landschaft schützen und mit Verstand verdichten. Dazu gehört genauso, dass wir unsere Ressourcen möglichst optimal verwenden und unsere Gebäude in hoher architektonischer Qualität errichten.

Ich möchte den einzelnen Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung übergeben und ihr kundenorientiertes Handeln unterstützen.

Und was würden Sie am liebsten bauen?

Ich habe als Architekt so vieles gebaut, dass ich keine Träume mehr habe, die ich noch unbedingt umsetzen möchte. Was ich bauen wollte, konnte ich realisieren.

Sie sind jetzt ein Jahr St.Galler Kantonsbaumeister. Ihre Zwischenbilanz?

Ich habe den Kulturwechsel unterschätzt. Vorher arbeitete ich in einem jungen und dynamischen Umfeld mit einem Frauenanteil von 50 Prozent, das sehr interessiert an Neuem war. In der Verwaltung ist das anders, und das macht mir zuweilen zu schaffen. Der Einstieg war wegen Corona insgesamt nicht ganz einfach, ich habe viele meiner Mitarbeitenden kaum je gesehen. Es freut mich aber, dass die Mitarbeitenden im Hochbauamt sehr motiviert und fachlich kompetent sind.

Was war denn der Reiz, von «Herzog & de Meuron» in Basel zum Kanton St.Gallen zu wechseln?

Wie gesagt, ich habe als Architekt vieles realisieren können. Ich wollte die Seite wechseln, also nicht mehr selber planen, sondern die Voraussetzungen schaffen, dass die Planenden gute Architektur für die Nutzenden umsetzen können.

Das Baudepartement hat einen Umbruch in der Leitung hinter sich. Eine neue Vorsteherin, ein neuer Generalsekretär, ein neuer Kantonsbau­meister. War das eher Fluch oder Segen?

Es war schon seltsam, dass diejenigen, die mich angestellt haben, nicht mehr da waren, als ich meine Arbeit aufnahm. Ich betrat ein unbelastetes Feld, das frei von alten Seilschaften war. Insgesamt war das eine positive Erfahrung.

Ein aktuelles Grossprojekt ist der Neubau der Uni St.Gallen, der Campus am Platztor in St.Gallen. Was spricht Sie an diesem Projekt an?

Der Neubau hat eine fundamentale städtebauliche Funktion. Mit ihm entsteht mitten in der Stadt ein neuer Ort. Heute ist diese Ecke am Platztor eigentliches Niemandsland, ein Unort. Für die Stadt wird mit dem neuen Campus hier der Anstoss zu einer wichtigen Entwicklung gemacht, damit aus Niemandsland ein belebter Ort für alle werden kann.

Der Uni St.Gallen haftet an, sie sei ein elitärer Betrieb, gut situiert, aber vornehm distanziert oben auf dem Rosenberg. Kann gute Architektur diese Distanziertheit brechen?

Das Projekt setzt gerade bei der Nähe an. Das Gebäude ist transparent, gegen innen sowie nach aussen. Man kann von aussen die Studierenden und Lehrenden sehen. Es drückt Offenheit und Lebendigkeit aus und wir hoffen, dass sich der Campus zu einem belebten Teil der Stadt entwickeln wird, wo sich Studierende und Stadtbewohner*innen treffen.

Zurück zu Ihrer Arbeit. Sie führen 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was sind Ihre Ziele?

Dass wir als Bauherren das eine oder andere Grossprojekt für unsere Kunden realisieren können. Wir müssen agiler werden und unsere Prozesse sollten sich beschleunigen. Ich möchte den einzelnen Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung übergeben und ihr kundenorientiertes Handeln unterstützen.