Sie war Managerin in der Corona-Krise, Taktgeberin, die Frau an der Pauke: Kantonsärztin Danuta Reinholz. Sie berät die Regierung als Expertin für Gesundheitsfragen und sie lenkte während der Pandemie das Boot sicher zwischen steigenden Fallzahlen und der Angst vor einem Kollaps des Gesundheitssystems. Ruhig bleiben und logisch denken: Das ist ihr Zaubertrank gegen drohendes Chaos. Ihr ganzer Stolz: ihr Team.

Das Coronavirus wütete in der Lombardei, als es bei uns noch ruhig war. Man sah, was das Virus anrichten konnte. Diese Schreckensbilder – machte Ihnen das Angst?
Nein. Es ist ja nicht die erste Pandemie, die ich erlebe. Ich habe als Public-Health-Expertin schon die Vogelgrippe, die Schweinegrippe, Sars erlebt…
… aber es war zu Beginn völlig unklar, wie hart uns die Pandemie treffen würde.
Wir sahen in der Lombardei und im Tessin, dass viele Personen auf die Intensivstation mussten und dass die Sterblichkeit hoch war. Das stimmt. Ich empfand es aber nicht als bedrohlich. Kopfzerbrechen machte mir, dass wir nur wenig Zeit hatten, die Kapazitäten auf den Intensivstationen und die Anzahl der Beatmungsplätze deutlich zu steigern.
Was ging Ihnen ganz am Anfang durch den Kopf, als Sie realisierten, dass die Pandemie kommt?
Ich dachte: «Jetzt ruhig bleiben und systematisch vorgehen.» Will man in einer Krise das Chaos vermeiden, muss man Schritt für Schritt logisch bleiben. Ich versuche, mich in solchen Situationen nicht verrückt machen zu lassen. Anders geht es nicht.
Wo war das grösste Problem während dieser Zeit?
Herausfordernd war, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitssystem zu motivieren, dass sie mitmarschierten. Die Spitäler waren stets wachsam, aber die Fallzahlen waren niedrig. Es lag in der Verantwortung des Gesundheitsdepartementes, den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem die Spitäler ihre Aktivität auf die Covid-19-Patientinnen und -Patienten konzentrieren mussten.
Sie mussten mit der Peitsche dahinter?
Nicht mit der Peitsche. Aber wir mussten den Takt angeben und die Motivation hochhalten. Wir waren so etwas wie der Paukenschläger der Truppe.
Kantonsärztin sein während einer Pandemie – kamen Sie an Ihre Grenzen?
Ich hatte in der heissen Phase im besten Fall vier Stunden Schlaf. Es gab keine Wochenenden. Ich stand morgens um fünf Uhr auf und kochte den Zmittag für meine Kinder, die ja Homescooling hatten. Ich war körperlich erschöpft und ja, ich spürte meine Grenze.
Haben Sie sich je vorstellen können, dass Sie so eine globale Pandemie erleben werden?
Ja. Und ich rechne damit, dass ich noch weitere erleben werde. Solange es diese Tiermärkte gibt in Asien, bleibt die Quelle dieser gefährlichen Viren bestehen. Zusammen mit der hohen weltweiten Mobilität ist dies das Kochrezept für weitere Pandemien.

Was haben Sie gelernt?
Man muss bei sich bleiben. Man darf sich nicht beeindrucken lassen, dass die Wellen hochgehen, oder davon, was die anderen machen. Man muss bei sich bleiben und sich Zeit nehmen fürs Überlegen. Das ist zielführender als in Aktivismus zu verfallen.
Es gab Kritik am harten Lockdown. Hat der Bundesrat damit übertrieben?
Auf keinen Fall. Der Bundesrat hat völlig richtig entschieden, davon bin ich felsenfest überzeugt. Das Coronavirus kann eine hohe Dynamik entwickeln, das war aus der Lombardei bekannt. Es gab keine Wahl, es gab nur alles oder nichts. Die Lombardei ist mit rund 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern durchaus vergleichbar mit der Schweiz. Es gab dort über 15’000 Tote. Ohne Lockdown wäre das auch bei uns passiert
Noch ein Wort zum Personal. Es war stark gefordert. Was beeindruckte sie am meisten?
Meine Leute standen wie eine Eins hinter mir, Tag und Nacht, völlig diskussionslos. Das war auch in den anderen Ämtern des Gesundheitsdepartementes so. Es gab trotz des extremen Druckes nie ein böses Wort, das Klima war immer konstruktiv. Dafür bin ich extrem dankbar und darauf bin ich extrem stolz.