Martin Klöti war weit mehr als der erste schwule Regierungsrat im Kanton. Als Sozial- und Kulturchef pflegte er die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens wie ein umsichtiger Landschaftsarchitekt.
Von Klöti-Festspielen zu reden, wäre vermessen, aber die St.Galler Festspiele auf dem Klosterplatz sind ein würdiger Rahmen für die achtjährige Amtszeit von FDP-Regierungsrat Martin Klöti als Vorsteher des Departements des Innern. Zum Arbeitsbeginn im Juni 2012 sieht er sie als Metapher der «neuen Horizonte», die sich in der Pfalz eröffnen. In den sechs Jahren zuvor verhalf er im Stadtammannamt dem Thurgauer Industrie- und Hafenort Arbon zum Umschwung als «Stadt der weiten Horizonte». Inspiriert vom Bühnenaufbau einer Verdi-Oper vor seinem Bürofenster, lässt er von der St.Galler Zeichnerin Corinne Bromundt die Leistungsbereiche in den sieben Ämtern seines Departements als elefantösen Weltbetrieb zeichnen, gemäss seiner Vision: «Ein sicheres Fundament schaffen – gesellschaftliche Perspektiven eröffnen.» Zum Ende der Amtszeit im Juni 2020 prägen die Festspiele erneut das Bild, das Klöti für die Ewigkeit abgibt: Im Ölporträt der St.Galler Malerin Lisa Schmid für die regierungsrätliche Ahnengalerie steht er, leicht schräg und mit spitzbübischem Gesichtsausdruck, aber elegant mit Smoking und Fliege, im festlichen Premierenpublikum. Es ist das erste Porträt eines Regierungsmitglieds, auf dem noch andere Menschen zu sehen sind.
Kulturchef Klöti liebte die schillernden Auftritte auf den Kulturbühnen, und er glänzte dort mit seinem geschliffenen Bühnendeutsch. Das verdankt er seiner Liaison mit dem Charakterschauspieler Hans Gerd Kübel, mit dem er schon als 20-Jähriger an jeder Premierenfeier des Schauspielhauses Zürich teilnahm (und auf einem Bauernhof im Toggenburg zusammenlebte). Manche meinen, er habe es mit seinen Schwärmereien zuweilen übertrieben. Doch konnte Klöti mit solchen Vorwürfen gut leben, zumal ihm seine Stil- und Genussfreude auch Antrieb waren, übers graue Mittelmass hinauszuzielen und Grenzen auszureizen. Selbstverständlich tat er dies als erstes Mitglied der St.Galler Regierung, das eine schwule Beziehung lebte und dies erst noch mit einem jüngeren Araber, mit dem er ohne Scheu an offiziellen Treffen erschien. Diese Hürden zu nehmen, habe sich gelohnt, sagte er 2014, als er als erster Ostschweizer Politiker das Präsidium des Verbands Aids-Hilfe Schweiz übernahm: «Die Regierung hat gemerkt, dass es ihrer Reputation nicht schadet, es ist eher das Gegenteil der Fall. Wenn sich jemand in einem solch empfindlichen Thema auskennt, ist das eine Auszeichnung. Und eine Bereicherung.»
Wer in Klöti nur den Schwärmer sieht, tut ihm mehrfach Unrecht. Denn erstens ist er beruflich ein Allrounder, wie es selten einen gab in der Regierung: Er wirkte als Lehrer, Landwirt, Rauchlachsproduzent, Landschaftsarchitekt oder Kulturhotelbetreiber, bevor er über den Einstieg als Stadtrat in Rapperswil zum Profipolitiker mit frei gewählten Wunschpositionen wurde. Und zweitens leistete er Knochenarbeit gerade auch dort, wo es wenig Lorbeeren zu holen gibt. Allein die Grundlagen und Gesetze, die er im Sozialbereich schuf, von der Kita-Förderung über die Sozialhilfe und die Religionsgemeinschaften bis zum Betreuten Wohnen und den Sterbehospizen, zeugen eindrücklich davon. Zu den politischen Erfolgen, die Klöti vorweisen kann, gehören über den Kanton hinaus jene als Präsident der Sozialdirektoren-Konferenz: Er hat Ruhe in die Debatte um die Sozialhilfe-Richtlinien gebracht und die Integrationspauschale für Flüchtlinge verdreifacht.
Eine Bilanz für den «Jack Lang der Ostschweiz», die sich sehen lassen darf. Und wahrlich ist Klöti, der den legendären französischen Kultur- und Bildungsminister als Vorbild betrachtete, als zwischenzeitliche Reizfigur in der Pfalz an den Widerständen gewachsen, die ihm von SVP-Seite in teils gehässiger Form entgegenschlugen. Sein Arbeitsethos und hoher Anspruch, auch in der Ästhetik, in der er selbstredend die Ethik mitmeinte, haben den «missverstandenen Minister» (Titel eines lesenswerten Porträts im «Tagblatt») am Ende triumphieren lassen. Auch dort, wo es Rückschläge gab, wie beim Klanghaus im oberen Toggenburg.
Er suche stets die Essenz, die inhaltlich oder formal alles überstrahle, sagt er am vorletzten Tag im Büro. Der Zürichseebub, aufgewachsen in Feldmeilen, zieht nach je 14 Jahren im Toggenburg, in Rapperswil-Jona und in der Region Arbon-St.Gallen (wo er die beiden Wohnungen allerdings behält) für die meiste Zeit des Jahres in die Lomagne, die Toskana Frankreichs. Der Rückzug aufs Land als Befreiungsschlag: Die 14 Jahre bis zum Achtzigsten und darüber hinaus will er mit seinem Partner möglichst alles selber in der Hand haben und das Leben aufs Wesentliche reduzieren. Er gehe gut gelaunt und optimistisch, auch für den Kanton, beschied er zum Schluss dem Kantonsrat. Die Abschiedswünsche sind bescheiden: St.Gallen soll es nicht nur musterschülermässig können, sondern wagen, und seine Repräsentanten müssten das Hochdeutsch pflegen, «als Medium der differenzierten Argumentation und der Offenheit gegenüber Menschen, die nicht hier aufgewachsen sind». Und nebenbei wünscht der reformierte Zürcher, der dem katholischen Stiftsbezirk einen Schub bescherte (Klosterplan-Ausstellung), einen kleinen, feinen Klostergarten. Sowie dem Staatskeller ein Chéminee, damit die Regierenden und ihre Gäste die Bratwürste nicht mehr anliefern lassen müssen, sondern selber braten können. Das hätte zu guter Letzt einfach Stil.