Die Angst des Fischereiaufsehers

Kommt Regen? Müssen wir abfischen? Fischereiaufseher Christoph Mehr hatte dieses Jahr manch schlaflose Nacht.

Marion Loher, freischaffende Journalistin

Trockenheit Quelle Christoph Mehr (1)

Wenn Christoph Mehr erzählt, ist seine Erleichterung spürbar. «Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.» Es war ein turbulentes Jahr. Im April drohte nach einem trockenen Winter die erste grosse Dürre. Der Regen und vor allem der späte Schnee in den Bergen brachten Anfang Mai dann aber die Wende – quasi im letzten Moment. «Der Schnee in den Alpen ist unser Langzeitspeicher, der uns im Sommer über die Runden helfen kann», sagt Christoph Mehr. Und mit dem Regen im Mai sah es auch bei den Grundwasserreserven wieder besser aus. Doch dann kam die Hitze und Trockenheit im Juni und Juli. «Und schon wieder stand alles auf Messers Schneide», sagt Christoph Mehr. Der Fischereiaufseher fühlte sich an den Sommer 2022 erinnert, als Bäche und kleine Flüsse austrockneten und unzählige Fische und andere Wasserlebewesen verendeten. «2022 war eine Katastrophe. Diesen Sommer sind wir knapp daran vorbeigeschlittert.»

«Kein schönes Gefühl»

So arg der Sommer 2022 gewesen sein mag, die Fischerei-Verantwortlichen des Kantons haben aus diesen Erfahrungen gelernt und haben Massnahmen erarbeitet, um ein Fischsterben wie damals so weit als möglich zu verhindern. Ein Beispiel sind die jungen Bachforellen. Sie werden alljährlich in verschiedene Fliessgewässer ausgesetzt. «Für dieses Jahr hatten wir uns überlegt, in jenen Bächen, die schon einmal ausgetrocknet waren, keine Fische mehr einzusetzen», sagt der Fischereiaufseher. Denn die Chance, dass diese Gewässer bei langer Trockenheit wieder kein Wasser führen, sei gross. Keine Jungforellen mehr aussetzen? «Kein schönes Gefühl», sagt er.

Im Juli stand die Wassersituation auf Messers Schneide.

Christoph Mehr, Fischereiaufseher

Auch wenn die starken Niederschläge im Frühling insgesamt ein Segen waren, hatten sie auch ihre Schattenseiten. Denn sie gingen während der Laichzeit der Thur-Äsche nieder. Dadurch wurden Laichgruben und Jungfische weggespült, was einen herben Verlust des Äschen-Nachwuchses zur Folge hatte. Heikel, da der Äsche-Bestand in den vergangenen Jahren bereits stark geschrumpft ist.

Christoph Mehr arbeitet seit zehn Jahren als Fischereiaufseher für den Kanton St.Gallen und ist verantwortlich für das Einzugsgebiet der Thur und Sitter. Der Urnäscher hat als Bub angefangen zu fischen, mittlerweile ist das Hobby zu seinem Beruf geworden. Er lebt für die Fische, leidet mit ihnen. «Das Überleben der Fische liegt mir sehr am Herzen», sagt der 48-Jährige. Dafür setzt er sich seit Jahren ein. Die Fische hätten ein grosses Handicap: «Sie haben keine Lobby. Sie sind nicht herzig wie kleine Kätzchen oder flauschig wie Kaninchen. Man kann sie nicht streicheln und sieht sie kaum.» Trotzdem ist ihre Existenz nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschen enorm wichtig. Christoph Mehr bringt es auf den Punkt: «Die Fische sind ein Indikator dafür, wie gut unsere Gewässer sind», sagt er. «Wenn die Fische dort nicht mehr leben können, werden auch wir früher oder später das Wasser nicht mehr trinken können.»

INFOBOX

Enge Zusammenarbeit
mit den 23 Fischereivereinen

Die vier kantonalen Fischereiaufseher überwachen den Fischbestand, ergreifen bei Baustellen am Wasser entsprechende Schutzmassnahmen und setzen sich für Projekte ein, welche die Lebensräume dieser Wassertiere schützen und aufwerten. Die Aufsicht ist in vier Gebiete eingeteilt: das Rheintal und die Bodenseezuflüsse; See/Gaster mit Seez, Walensee und Linthkanal; die Einzugsgebiete Thur und Sitter sowie der Bodensee. Die vier Fischereiaufseher arbeiten zudem eng mit den 23 regionalen Fischereivereinen zusammen.

Fischbestände praktisch halbiert

Im Kanton St. Gallen ist der Fischbestand in den vergangenen 20 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Als Hauptgrund sieht der Fischereiaufseher die mit der Klimaveränderung verbundenen negativen Auswirkungen wie Trockenheit, Gewässererwärmung, Starkniederschläge oder Winterhochwasser.

Fische haben keine Lobby. Sie sind nicht herzig wie kleine Kätzchen und man kann sie nicht streicheln.

Christoph Mehr, Fischereiaufseher

«Der Gewässerhaushalt ist nicht mehr im Lot, das sind auch Folgen der Zerstörung der Feucht- und Moorgebiete, der Drainierung der Böden und der intensiven Landnutzung.» Zudem habe sich die Zahl der Insekten, also die Hauptnahrung der Fische, deutlich verringert und immer mehr gelangten auch Stoffe in die Gewässer, die für aquatische Lebewesen problematisch sind. Ein wichtiger Schritt, dem allem entgegenzuwirken, sei der sorgsame Umgang mit diesen Stoffen und die Revitalisierung der Lebensräume.