Der Blick über die Grenze

Markus Wehrli, Kommunikation Staatskanzlei

Der Blick über die Grenze

Markus Wehrli, Kommunikation Staatskanzlei
Grenzen verlieren an Bedeutung. Auch die Regierung forciert das Thema «Vernetzung und Kooperation» mit Projekten, die über Grenzen hinausreichen. Besonders bedeutsam ist der Metropolitanraum Bodensee. Staatssekretär Benedikt van Spyk zu den Gründen, weshalb sich hier eine engere Zusammenarbeit lohnt.

Benedikt van Spyk, sind Sie ein Freund grenzüber­schreitender Schulterschlüsse?

Ja, sehr! Ich bin überzeugt, dass eine enge Zusammen­arbeit mit unseren Nachbarn ein zentraler Schlüssel für die positive Entwicklung des Kantons St.Gallen darstellt. Der Kanton St.Gallen grenzt an vier Länder und sieben Kantone. Damit hat er mehr Nachbarn als jeder andere Kanton der Schweiz.

Warum lohnt sich der Blick über die Grenze hinaus?

Uns verbinden über die Grenzen hinaus gleiche In­teressen und gemeinsame geschichtliche und kultu­relle Wurzeln. Gemeinsam haben wir mehr Gewicht gegenüber unseren Hauptstädten und wir können etwa im öffentlichen Verkehr Lösungen finden, die den Erwartungen und Bedürfnissen unserer Bevölke­rung gerecht werden.

Ist ein Metropolitanraum Bodensee (siehe rechts) nicht etwas hoch gegriffen im Verhältnis zu einem Metropolitanraum Zürich oder Basel?

Der Metropolitanraum Bodensee ist im Unterschied zu anderen urbanen Räumen nicht durch ein Zentrum geprägt. Das Rheintal ist zusammen mit Vorarlberg und Liechtenstein ein Wirtschaftsraum mit grosser internationaler Ausstrahlung und hoher Innovations­kraft, es gehört zur zweitgrössten Exportregion nach Basel. Zentral ist, dass wir die rein nationale Perspek­tive verlassen und das Potenzial des gesamten Raums in den Blick nehmen.

Geschichtlich gesehen ist das Verständnis grosser ge­meinsamer Lebensräume nichts Neues.

Historisch war die Region Bodensee immer sehr eng verflochten. Der Bodensee war dabei eine zentrale Handels-und Reiseroute. Für die Menschen war es selbstverständlich, sich im Bodenseeraum frei zu be­wegen. Erst durch die beiden Weltkriege wurden die politischen Grenzen stark betont.

Wo ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit wün­schenswert und wo zwingend?

Die Vernetzung unter den Menschen ist sehr viel wei­ter fortgeschritten, als den Behörden teilweise bewusst ist. Das wurde bei den Grenzschliessungen während Corona deutlich. Wir stehen als Kanton in der Pflicht, der Bevölkerung und Wirtschaft in allen wichtigen Lebensbereichen grenzüberschreitende Lösungen an­zubieten.

Acht grenzüberschreitende Projekte aus den Departementen

«Metropolitanraum Bodensee», Bau- und Umweltdepartement

Der Metropolitanraum Bodensee umfasst einen Wirtschafts-und Lebensraum mit rund 750 000 Ein­wohnerinnen und Einwohnern und über 400 000 Be­schäftigten. Er besteht aus den vier Agglomerations­räumen Rheintal, einschliesslich Feldkirch-Bludenz, Lindau, St.Gallen Bodensee, Werdenberg-Liechtenstein und Wil. Ziel des Metropolitanraumes ist, die Anerkennung durch die Trägerorganisationen des Raumkonzepts Schweiz zu erhalten. Mit der Anerken­nung würde die Region attraktiver für Investitionen und Neuansiedlungen, was der Region zusätzliches Gewicht verleihen würde. Auch Bundesgelder fliessen vermehrt in Metropolitanräume. Mehr als 25 Organi­sationen aus Politik und Wirtschaft stehen hinter dem Metropolitanraum. Das Amt für Raumentwicklung und Geoinformation koordiniert die weitere Entwick­lung mit dem Raumkonzept Schweiz.

«Grenzüberschreitende S7», Volkswirtschaftsdepartement

Eine trinationale Arbeitsgruppe (Behörden und Eisenbahnunternehmen) arbeitet seit rund vier Jahren intensiv an der Verbesserung des grenzüberschreiten­den öffentlichen Verkehrs im Bodenseeraum. Deshalb verkehrt seit Dezember 2021 im Zweistundentakt eine S-Bahn (S7) zwischen Lindau und Romanshorn. Vorerst fahren die Züge nur am Wochenende. Ab Dezember 2023 wird das Angebot auf die ganze Woche ausgedehnt. Damit entstehen für die Pendle­rinnen und Pendler Richtung Ostschweiz attraktive Verbindungen, die auch bezüglich Reisezeit eine Alternative zum Auto bieten. Zudem können die Tourismusgebiete entlang des nördlichen Bodensee­ufers und im Allgäu aus der Schweiz und aus Vorarlberg stündlich und schneller erreicht werden.

«kklick – Kulturvermittlung Ostschweiz», Departement des Innern

Die Ämter für Kultur der Kantone Appenzell Aus­serrhoden, Glarus, St.Gallen und Thurgau haben sich, unterstützt von den Schulämtern, zusammengetan, um für Schulen aller Altersstufen den Zugang zur Kultur einfach und attraktiv zu machen. Die Online­plattform www.kklick.ch gibt einen Überblick über schulische Kulturvermittlungsangebote und unter­stützt Lehrpersonen, diese im Rahmen des Unter­richts zu nutzen. Aktuell sind rund 350 Angebote von 173 Anbietern aus den Kantonen AR, GL, SG und TG aufgeschaltet. Das kantonsübergreifende Netzwerk von Kulturschaffenden, Institutionen, Lehrpersonen, Behörden, Fachstellen und Schulen ist in dieser Form schweizweit einzigartig.

«HSG-Institut in Vorarlberg», Bildungsdepartement

Im Bildungs-und Sportbereich werden zahlreiche grenzüberschreitende Projekte umgesetzt. Ein aktu­elles Beispiel: Die Gründung des Instituts für Com­puter Science der Universität St.Gallen in Dornbirn (Vorarlberg). Zwei Assistenzprofessuren sollen zu den Themen «Big Data Infrastructures» und «Em­bedded Sensing Systems» (eingebettete Messsysteme) forschen und lehren, zudem sind Arbeiten zum The­ma Energieautonomie geplant. Die HSG sichert die akademische Qualität des Instituts und gewährleistet die Freiheit von Lehre und Forschung. Das Land Vor­arlberg finanziert zusammen mit Partnern aus der Wirtschaft die Einrichtung und den Betrieb des Insti­tuts für zehn Jahre. Die Zusammenarbeit ist ein erstes grosses Projekt des Metropolitanraums Bodensee.

«Digitale Verwaltung Schweiz», Finanzdepartement

Die Organisation Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) wurde auf Anfang 2022 gegründet und ist ein Zusammenschluss zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Generell sollen die digitale Zusammenarbeit und die digitale Transformation über die drei Staatsebenen hinweg vorangebracht werden. Themen, mit denen sich die noch junge Institution auseinandersetzt, sind unter anderem die E-ID, digitale Schalter und E-Voting. Die grösste Herausforderung ist es, das kreative Potenzial für die anstehenden Entwicklungen zu stärken, ohne dabei die Autonomie der einzelnen Gemeinwesen einzuschränken. Der Vorsteher des Finanzdepartementes, Regierungsrat Marc Mächler, ist einer der vier Vertreter der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) im politischen Führungsgremium der DVS.

«Regierungskommission Bodensee», Staatskanzlei

Der Bodenseeraum ist die einzige Grenzregion der Schweiz ohne Gremium für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten. Der Kanton St.Gallen setzt sich deshalb für die Gründung der «Regierungskommission Bodensee» ein, um die regionalen Gremien wie beispielsweise die «Internationale Bodensee Konferenz» zu ergänzen. Im Gegensatz zum «Metropolitanraum Bodensee», der sich aus Akteuren der Wirtschaft und Politik im Standortwettbewerb einsetzt, wird die «Regierungskommission Bodensee» die Schaltstelle zu den nationalen Regierungen sein. Damit sollen Fragestellungen angegangen werden, die nicht auf der regionalen Ebene gelöst werden können, beispielsweise im grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr. Der Besuch von Bundespräsident Ignazio Cassis beim Pilottreffen der «Regierungskommission Bodensee» im Mai 2022 unterstreicht die Bedeutung der neuen Plattform für Bund und Kantone.

«Projekt HORIZONT», Sicherheits- und Justizdepartement

Die beiden Deutschschweizer Strafvollzugskonkor­date Nordwest-und Innerschweiz (NWI-CH) und Ostschweiz (OSK) haben das Projekt HORIZONT lanciert. Die Herausforderungen an den Schweizer Justizvollzug sind in den vergangenen Jahren kom­plexer geworden. Die Anforderungen an die Unter­bringung und Betreuung von straffällig gewordenen Menschen sind stark gestiegen. Zudem machen der technologische Wandel und die Digitalisierung auch vor dem Justizvollzug nicht Halt. Dieser Hintergrund erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit über die Kantons-und Konkordatsgrenzen hinaus. Mit den sieben Teilprojekten rüsten sich die 19 Deutsch­schweizer Kantone von HORIZONT für die Zukunft, um die Herausforderungen in enger Kooperation an­zugehen. Das Zusammenrücken soll die Innovations­kraft erhöhen; gleichzeitig sollen Doppelspurigkeiten verschwinden, was zu mehr Effizienz führt.

«Reha Lutzenberg», Gesundheitsdepartement

Seit 1982 betreiben die Ostschweizer Kantone AR, AI, SH, SG und TG sowie das Fürstentum Liechten­stein mit viel Erfolg das Rehabilitationszentrum Lutzenberg als modernes Kompetenzzentrum für Suchtfragen. Die Nachfrage nach einer Langzeit-Suchttherapie ist ungebrochen gross. Mit dem bis heute einmaligen Arbeits-und vor allem auch Aus­bildungsangebot – als wichtigen Teil der Therapie im Rehabilitationsprozess – bleibt Lutzenberg in der sozialen und beruflichen Rehabilitation erfolgreich, etwa mit internen Ausbildungsplätzen in der eigenen Bäckerei, im eigenen Dorfladen oder mit der Lehre/Anlehre als Landschaftsgärtner/-in. In der zentrums­internen Schule hat die Klientel die Möglichkeit, individuelle Bildungsdefizite aufzuarbeiten und den Schulabschluss nachzuholen