«Das Eisen schmieden, wenn es kalt ist»

Dagmar Müller, Leiterin Platanenhof Oberuzwil, Sicherheits- und Justizdepartement

«Das Eisen schmieden, wenn es kalt ist»

Dagmar Müller, Leiterin Platanenhof Oberuzwil, Sicherheits- und Justizdepartement
Die Zeiten sind vorbei, als die Jugendlichen im kantonalen Jugendheim Platanenhof in Oberuzwil mit harter Hand geführt wurden. «Neue Autorität» statt «reine Macht» heisst die Losung heute. Treibende Kraft beim Wandel: die Leiterin Dagmar Müller.

Ich arbeite sehr gerne im Platanenhof. Ich bin seit über 15 Jahren mit Leib und Seele dabei und kenne die Institution in- und auswendig – ihre Stärken und ihre Schwächen. Die letzten Jahre waren anspruchsvoll und von grossen Veränderungen geprägt. Wir mussten unsere Haltung, wie wir unsere Jugendlichen führen, neu entwickeln.

Die Jugendlichen bei uns kommen aus desolaten Lebensverhältnissen und benötigen eine besondere Betreuung. Sie zeigen auffällige Verhaltensweisen, die oft nicht den gesellschaftlichen Werten und Normen entsprechen. Für uns Fachleute ist ihr Verhalten nachvollziehbar. Verstehen heisst aber nicht, auch damit einverstanden zu sein. Unser Ziel ist es ja gerade, das Verhalten unserer Jugendlichen so zu verändern, damit sie später in der Gesellschaft möglichst konfliktfrei leben können.

Früher war es gang und gäbe, dafür ein «hartes Regime» aufzuziehen. Wir haben aus der Heimgeschichte gelernt, dass Erziehungsmethoden, die auf Furcht, Angst, blindem Gehorsam und Anwendung von Macht und Gewalt basierten, die betroffenen Menschen später oft ein Leben lang belastet haben. Die Jugendlichen mussten mit harten Strafen leben, sie wurden vernachlässigt, sie haben kaum Unterstützung von den Erwachsenen erfahren. Sie alle haben damit sehr ungesunde Beziehungserfahrungen gemacht.

Dieser Stil ist heute ein «No-Go». Was heisst das für unsere Arbeit im Platanenhof? Was gibt es für Alternativen zum traditionellen Autoritätsverständnis? Aber auch zu einem «Laissez-faire»-Erziehungsstil, der alles durchgehen lässt? Genau diese Fragen haben mich und den «Platanenhof» die letzten Jahre durch beschäftigt.

«Neue Autorität» statt «pure Macht» heisst das Motto. Wir möchten, dass Jugendliche einmal positiv auf ihren Aufenthalt im Platanenhof zurückblicken. Und dass sie zum Beispiel so über die Zeit im «Planti» sprechen: «Die ‹Sozis› waren streng mit mir. Sie gingen mir oft auf die Nerven. Ab und zu konnte ich nicht nachvollziehen, was sie von mir erwarten. » Die Jugendlichen müssen viele ihrer Verhaltensweisen verändern, Konflikte und Reibereien sind da unvermeidbar. Der Platanenhof ist auch heute keine Wohlfühloase. Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag. Eine Platzierung im Platanenhof kostet viel Geld. Daran sind klare Erwartungen geknüpft.

Aber ich wünsche mir, dass unsere Jugendlichen dereinst auch das sagen können: «Ich habe im ‹Planti› immer Menschen erlebt, die Interesse an mir und meiner Entwicklung zeigten. Sie haben mein Verhalten zwar oft abgelehnt. Aber sie haben mich als Mensch immer respektvoll und fair behandelt. Ich habe gespürt, dass sie das Beste für mich wollten.» Klare Grenzsetzungen, vor allem aber auch neue, positive Beziehungserfahrungen, das ist unabdingbar in der Arbeit mit den Jugendlichen. Nur wenn beides gegeben ist, sind sie auch bereit, destruktive Verhaltensmuster zu verändern.

Der Ansatz der «neuen Autorität» verlangt eine besondere Haltung bei uns Erwachsenen und Leitenden. Wir zeigen eine hohe Präsenz und wachsame Sorge. Wir schauen nie weg. Wir loben Jugendliche, wenn sie sich gut verhalten, konfrontieren sie aber auch mit ihrem Fehlverhalten und arbeiten an Lösungen. Wir sind beharrlich und lassen uns nicht um den Finger wickeln. Wir festigen mit den Jugendlichen die Beziehung in «stressfreien Zeiten», ganz nach dem Motto «Das Eisen schmieden, wenn es kalt ist». Und wir kümmern uns um Wiedergutmachungen: Wo Schaden entstanden ist, muss es eine Entschädigung geben. 

Wir sind überzeugt vom Ansatz der neuen Autorität. Sozialpädagogisches Handeln hat immer einen Machtaspekt. Wenn Macht an Reflexion und Verantwortung gekoppelt sind, hat sie meiner Meinung nach eine klare Berechtigung. Die Veränderung der letzten Jahre war und ist anspruchsvoll. Und wir sind noch längst nicht am Ziel. Wir sind unterwegs.

Das kantonale Jugendheim Platanenhof in Oberuzwil ist eine Erziehungseinrichtung, die zivil- und strafrechtlich eingewiesene Jugendliche und junge Erwachsene nach sozialpädagogischen Grundsätzen und Konzepten fördert sowie fordert. Zusammen mit den Jugendlichen im geschlossenen oder offenen Rahmen werden in sehr unterschiedlichen Auftragsformen neue soziale, schulische und berufliche Entwicklungsperspektiven. Das Ziel ist, die Jugendlichen auf das Leben in der Freiheit vorzubereiten.