Die Mächtigen im Kantonsrat

Die Mächtigen im Kantonsrat

Sei es das neue Lohnsystem, seien es Fragen zum Budget für neue Stellen oder Aufträge an die Verwaltung – der St.Galler Kantonsrat hat bei Personalfragen ein gewichtiges Wort. Grund genug nachzufragen, wer die mächtigste Figur im Rat ist.
Andreas Widmer/CVP

Weil SVP (–5 Sitze) und FDP (–4 Sitze) bei den Kantonsratswahlen im März 2020 stark verloren haben, bringen sie mit 57 Sitzen keine Mehrheit mehr im 120-köpfigen Rat zusammen. Das rechtsbürgerliche Tandem hat zwar von 2016 bis 2020 ohnehin selten funktioniert. Doch nun ist der rechte Parlamentsflügel von Anfang an auf Hilfe aus den Reihen der CVP angewiesen. Die Mitte, wie die Christdemokraten bald heissen wollen, spielt also stets das Zünglein an der Waage zwischen links und rechts. Denn die auf sechs Sitze erstarkte St.Galler GLP zeigt bisher wenig Ambitionen zum finanzpolitischen Koalieren mit rechts. Der mächtigste Kantonsrat ist folglich CVP-EVP-Fraktionschef Andreas Widmer. Zumal er als Geschäftsführer des kantonalen Bauernverbands zugleich eine der gewichtigsten Lobbygruppen im Parlament führt. Dass die Bauern, obwohl sie nur gut drei Prozent der Erwerbstätigen im Kanton ausmachen, noch immer eine Macht sind im Rat, haben sie jüngst bei der Debatte zur Tierleid-Initiative gezeigt – indem sie mit Chefstratege Widmer den Gegenvorschlag der Regierung nach ihrem Gusto umpflügten.

Pascal Büsser
Linthzeitung

Michael Götte/SVP

Die Liste der Interessensbindungen von Michael Götte ist lang, hat aber eine klare Linie: Der SVP-Kantons­rat engagiert sich für vieles, das mit Wirtschaft und Sport zu tun hat – und natürlich als Gemeindepräsident auch mit seiner Gemeinde Tübach. Dieser steht der heute 41-Jährige seit 2006 vor. Seit bald 20 Jahren politisiert er im Kantonsparlament. In dieser Zeit hat er an Einfluss gewonnen und sich auch über die Parteigrenzen hinaus Respekt verschafft. 2009 übernahm Michael Götte das Fraktionspräsidium der SVP. Fast zwölf Jahre lang stand er der Fraktion vor. Ob als Fraktionschef oder auch «nur» SVP-Kantonsrat: Michael Götte überzeugt nicht nur innerhalb der SVP. Kaum einer versteht es, seine Argumente während einer Debatte so klar und mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen wie er. Und auch hinter den Kulissen ist er stets engagiert, versucht Mehrheiten zu finden: Die verschiedenen Hüte, die er trägt, helfen ihm dabei. Dass er nicht immer auf der Parteilinie politisiert, führt dazu, dass er auch über die SVP hinaus überzeugen kann und Unterstützung für seine Anliegen erhält. Dies hat er in der Vergangenheit oft bewiesen. Einziger Wermutstropfen aus seiner Sicht: Den Sprung in die Regierung hat Michael Götte zweimal verpasst – Hauptgrund dafür wohl seine SVP- Zugehörigkeit, die ihn vor allem in den urbanen Gebieten Stimmen gekostet hat.

Martina Brassel
Regionaljournal Ostschweiz, SRF1

Bettina Surber/SP

Die mit Abstand einflussreichste und medial meistzitierte Frau im bürgerlich-männlich dominierten Kantonsrat ist Bettina Surber. Den Politbetrieb hat sie längst verinnerlicht: Zuvor sechs Jahre im St.Galler Stadtparlament, sitzt die Juristin seit 2012 im Kantonsrat. Gerade in ihrer Rolle als SP-Fraktionspräsidentin ist sie ganz Staatsfrau, die Wort hält. Intelligent, scharf im Argument, fair in der Debatte, dossiersicher – zum Beispiel in der Finanzpolitik. Dafür zollt ihr auch die rechte Ratshälfte grössten Respekt. Trotz politisch schwerem Stand gelingt es ihr, Allianzen zu schmieden und kluge Kompromisse zu finden. 2018 etwa beim STAF, als sie erreichte, dass die Einkommenssteuererträge aus erhöhten Kinder- und Ausbildungszulagen nicht einfach in den Staatshaushalt, sondern direkt in die Förderung der Kitas fliessen. Klientelismus? Bettina Surber war es, die in der Corona-Kommission bei den Gastro- und Gewerbehilfen aufs Tempo drückte. Ihr Engagement gilt also nicht nur der traditionellen Linkswählerschaft, und dennoch bleibt sie ihren linken Positionen immer treu. Und: Wer sonst im Kantonsrat kann von sich behaupten, schon einmal vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte reüssiert zu haben?

Roman Hertler
Kulturmagazin Saiten

Walter Gartmann/SVP

Zu den mächtigsten St. Galler Kantonsrätinnen und Kantonsräten zählen mit Sicherheit die Vertreterinnen und Vertreter grosser Organisationen wie etwa dem Hauseigentümer- oder dem Bauernverband. Auch die zahlreichen Gemeindepräsidenten könn(t)en viel bewirken, wenn sie parteiübergreifend zusammenstehen würden. Geht es darum, einen konkreten Namen zu nennen, gestatte ich mir als Vertreter einer Lokalzeitung aber, einen der «Unseren» zu nehmen. Die Wahl kann dabei nur auf Walter Gartmann fallen. Der Melser Unternehmer ist Kantonalpräsident der SVP und damit der Partei mit der grössten Fraktion im Kantonsrat. Wann immer es nötig ist, schliesst er die eigenen Reihen bis auf den letzten Mann bzw. die letzte Frau. Gleichzeitig sitzt er in wichtigen Kommissionen und ist ausgezeichnet vernetzt. Vor allem schafft es Gartmann aber trotz – oder vielleicht gerade auch wegen – seiner hemdsärmligen Art, die Leute für seine Anliegen zu gewinnen. Und zwar auch über Parteigrenzen hinweg. Als Beispiel gilt Gartmanns Einsatz für den Erhalt des eigentlich schon beerdigten Spitals in Walenstadt, das sicher auch dank seines Engagements an vorderster Front nochmals eine letzte Chance erhalten hat.

Reto Vincenz
Chefredaktor «Sarganserländer»