Der Montlingerberg gibt seine Geheimnisse preis

Regula Steinhauser-Zimmermann, Dr.phil., Kantonsarchäologie

Der Montlingerberg gibt seine Geheimnisse preis

Regula Steinhauser-Zimmermann, Dr.phil., Kantonsarchäologie
Auf dem Montlingerberg im Rheintal wurde bereits in der Bronzezeit gehandelt, gebaut, gelebt. Damals schützte ein eindrucksvoller Wall das Handelszentrum mit der weitläufigen Siedlungsanlage. Archäologische Funde lassen vermuten: Hier wirkten mächtige Menschen.

Beim Vorbeifahren fällt er auf, der Montlingerberg zwischen Oberriet und Kriessern: der alte Steinbruch an der Nordwestflanke, die Aussichtsplattform auf der äussersten Nordspitze, die Rebberge am Südhang mit St.Anna-Kapelle und Hedwig Scherrer-Haus, zuoberst die kleine, 2019 erneuerte Scheune. Wie eine Insel liegt das «Bergli» mitten in der Rheinebene, begleitet von seinem grossen Bruder Kummaberg im Osten. Das Wort «Insel» trifft den Punkt: Beide Hügel sind Inselberge, Teile der im Rheintaler Grabenbruch versunkenen Verbindung zwischen Alpstein und Bregenzerwald.


Das Dorf aus dem Nichts

Der Montlingerberg ist zwar weniger hoch als der Kummaberg, hat aber archäologisch einiges mehr zu bieten. Im 11. vorchristlichen Jahrhundert, während der späten Bronzezeit, entstand hier aus dem Nichts heraus eine grosse Siedlung, die geschätzt bis zu 300 Personen bewohnten. Gesichert war das Dorf durch einen quer über das Plateau verlaufenden, heute noch sichtbaren Wall. Eine ältere Besiedlung konnte nicht nachgewiesen werden. Die Platzwahl war sicher durch die verkehrsgeografische Lage an den Transitachsen Nord-Süd und Ost-West bedingt: Das Plateau bot genügend Siedlungsfläche für einen Handelsplatz. Möglicherweise wurden von hier aus auch Transporte organisiert. Die Bevölkerung war mehrheitlich in der spätbronzezeitlichen Kultur Süddeutschlands und des schweizerischen Mittellands verwurzelt. Ein kleiner Teil hingegen hatte enge Verbindungen ins Südtirol/Trentino, wenn er nicht sogar von dort eingewandert war.


Status und Macht: What’s what?

Zu den schwierigsten Fragen der Archäologie gehören jene nach der sozialen Organisation der Gesellschaft und der Stellung des Einzelnen. Solange keine Schriftzeugnisse vorhanden sind, bleiben nur Annäherungen. Was sagt beispielsweise eine Grabausstattung mit vielen Beigaben aus? Sind viele und «reiche» Beigaben eine Statusangabe, ein Machtbeweis, oder wurde dieser Mensch von seinen Angehörigen einfach sehr geliebt? Noch vor einigen Jahrzehnten war es für Archäologen und Archäologinnen einfach, eine Antwort zu geben. Sie hiess: viele und reiche Beigaben = hoher Sozialstatus = Macht. Mittlerweile haben wir gelernt: Diese Gleichung geht nicht unbedingt auf. Gesellschaften sind vielfältig und ganz unterschiedlich organisiert. Fundobjekte allein sagen vielleicht etwas aus über den sozialen Status, vielleicht etwas über den Machtstatus, aber die Zuordnung ist immer unsicher. Möglicherweise etwas besser lassen sich Fragen zu Status oder Macht beantworten, wenn spezielle Befunde in Betracht gezogen werden, wie grosse Bauwerke oder Siedlungsanlagen.


Ein 120 Meter langer Wall

Für den Handelsplatz Montlingerberg war der Wall ein prominentes Zeichen und auch eine Verteidigungsmassnahme. Die auf der Innenseite gestufte Konstruktion bestand aus Holzkästen, die mit Lehm und Reisig gefüllt waren. Die Aussenseite war durch eine zweiteilige Böschung gesichert. Eine Berechnung zeigte, dass für den Materialtransport heute etwa 700 Lastwagenfuhren notwendig wären. Wo wurden wohl die immensen Materialmengen abgebaut? Eine Schätzung der Bauzeit ist schwierig: Rechnet man mit zehn Ochsen als Zugtiere für Karren und Schlitten, ergeben sich 500 Tage für den Transport von Lehm und Steinen. Der Bau dürfte also mindestens zwei Jahre gedauert haben.

Wer hat’s erfunden?

Für Planung und Bau einer derartigen Anlage sind klare Anweisungen und Arbeitskräfte notwendig. Es brauchte einen Architekten, einen Ingenieur: Wer engagierte und entschädigte ihn? Es brauchte Bauleiter, Bauarbeiter, Holzfäller, Steinbrecher, Transporteure. Steinbrüche und Lehmgruben mussten betrieben und der Transport organisiert werden. Hier waren zweifelsohne spezialisierte Arbeits- und Baugruppen im Rahmen eines übergeordneten Plans unter eindeutiger Anleitung tätig. Zudem waren Unterkunft und Verpflegung für Mensch und Tier erforderlich: Häuser und Ställe mussten gebaut werden; Vieh wurde gefüttert, gehütet, gemolken, Korn gesät, geerntet, verarbeitet, Gemüse und Früchte gepflanzt, gesammelt und gelagert. Hier war jemand am Ruder, der über genügend Einfluss und Vermögen verfügte, um die Menschen zu organisieren und ihren Unterhalt sicherzustellen, ein Mensch mit Macht.


Von Handel und Wandel

Auch im 10. und 9. vorchristlichen Jahrhundert war der Montlingerberg ein wichtiges Handelszentrum. Menschen aus Süd und Nord, Ost und West trafen sich. Speziell intensiv waren offenbar die transalpinen Kontakte: Im 10. Jahrhundert erhielt jemand eine 350 Gramm schwere Kette aus über zwei Dutzend bis zu acht Zentimeter langen Bernsteinperlen, wahrscheinlich als Gastgeschenk. Der Bernstein selbst stammt aus dem Ostseeraum und wurde in Oberitalien, in der Nähe von Rovigo, zu Perlen verarbeitet. Die Kette war bestimmt ein Statussymbol; die grossen, golden leuchtenden Perlen könnten aber auch die Macht des Trägers oder der Trägerin eindrücklich betont haben.

Die Wallkonstruktion aus Lehm und Holz war übrigens feuchtigkeitsempfindlich. Vermutlich nach etwa 50 Jahren setzen sich die Massen in Bewegung und begruben die nahe am Wall stehenden Gebäude unter sich … ein Zeichen der Vergänglichkeit der Macht.

Zahlen und Fakten zum Montlingerberg

Der Berg

70 m

Höhendifferenz von der Rheintalebene zum Plateau

486.18 m ü.M.

Höchster Punkt (auf dem Wall)

ca. 24'000 m2

Siedlungsfläche ursprünglich

12'000 m2

Siedlungsfläche noch vorhanden

1921 – 1926, 1951 – 1954, 1960

Ausgrabungen

2017 – 2019

Geoprospektionen

weit über 10'000 Objekte

Geborgene Funde seit 1898

11. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr.

Besiedlungszeit (Spätbronzezeit, Früheisenzeit, Späteisenzeit, Römische Zeit)

Steinbruch Kolbenstein der Internationalen Rheinregulierung

1860 – 1960

Betriebsdauer

mindestens 800'000 m3 Kalkstein = ca. 2 Mio. Tonnen

Abbaumenge

Der Wall

120 m

Länge über alles

24 m

Breite am Fuss

4.6 m

Breite oberste Terrasse

mindestens 3.8 m

Höhe

ca. 5500 m3

Gesamtkubatur

ca. 9400 Tonnen

Lehmbedarf: ca. 5200 m3

750 Tonnen

Steinbedarf: ca. 300 m3

ca. 900 Bäume, mindestens 5 m hoch mit 20 cm Durchmesser

Holzbedarf: mindestens 4400 Laufmeter