Wenn der Vater fehlt

Müssen Familienväter ins Gefängnis, leidet die Familie. Neue Angebote sollen diese Situation verbessern. Der Inhaftierte A. und seine Frau erzählen.

Markus Wehrli, Kommunikation Staatskanzlei

Saxerriet Zimmer 17 (3)

Wir treffen uns in einem Sitzungszimmer der Strafanstalt Saxerriet. Herr A. sitzt mit gefalteten Händen am Tisch. Ein sportlicher Typ. Schlank, Jeans, Kapuzenpullover, das blonde Haar in einen Scheitel gelegt, die Augen stahlblau. Herr A. redet überlegt und gewandt. Man würde nicht glauben, dass dieser smart wirkende Herr schon mehrere Jahre im Gefängnis sitzt.

Ich frage ihn, was für ihn das Schlimmste am Strafvollzug ist. A. holt tief Luft. «Ich habe grosse Angst davor, dass meine Kinder sich von mir abwenden, weil ich im Gefängnis bin.» Herr A. ist im offenen Vollzug – er hat zweimal im Monat einen «freien» Tag und kann zu seiner Familie. Doch jedes Mal, wenn er nach Hause kommt, sitzt ihm diese Angst im Nacken. Werden meine beiden Kinder auf mich zukommen? Freuen sie sich überhaupt noch, dass ich komme?

Die Familie kommt unter die Räder

Die Verbüssung einer Freiheitsstrafe setzt nicht nur die Inhaftierten, sondern auch deren Familien unter grossen Druck. Das Familiengefüge leidet – Mütter, Väter und nicht zuletzt die Kinder. Und das ist wiederum schlecht für den Verlauf seiner Strafe. Hier möchte das neue Angehörigenprogramm des Amtes für Justizvollzug Gegensteuer geben. «Beim Angehörigenprogramm geht es im Kern darum, dass die Inhaftierten ihre Beziehungen und ihr Familienleben weiterleben können, trotz des Freiheitsentzuges», sagt Barbara Reifler, die Leiterin des Amtes für Justizvollzug. Zu diesem Zweck ist in der Strafanstalt Saxerriet ein Familienzimmer eingerichtet worden, um den Bedürfnissen des Familienlebens gerecht zu werden.

Die Verbüssung einer Freiheitsstrafe setzt nicht nur die Inhaftierten, sondern auch deren Familien unter grossen Druck.

Das Zimmer ist bunt bemalt, es hat jede Menge Spielzeug für die Kinder. «Die inhaftierten Väter können sich mit ihrer Frau und den Kindern hier zurückziehen, um für sich zu sein», sagt Barbara Reifler – eine Art Insel innerhalb der Gefängnismauern also, um wenigstens für die Besuchszeit das Wir-Gefühl der Familie zu ermöglichen.

Das ist dringend nötig. «Der Strafaufenthalt gefährdet den Zusammenhalt unserer Familie massiv», sagt
Frau A., die ihrem Mann im Sitzungszimmer gegenübersitzt. «Weil ich alleine bin, ist die Belastung für mich und für die Kinder riesig.» Und: «Ich kann mich anstrengen, wie ich will. Der Vater zu Hause fehlt einfach.» Um in der Zeit der Haft bestehen zu können, seien solche Inseln wie das Familienzimmer wichtig. 

Die Vaterrolle lernen 

Der Einbezug der Familie gilt auch als Vorbereitung für die Zeit nach dem Gefängnis. «Im Strafvollzug werden die Inhaftierten auf das Leben danach, auf die Zeit nach dem Vollzug vorbereitet», sagt Reifler, «ein wichtiges Ziel des Vollzuges ist Re-Integration.» Hierbei gehe es nicht nur darum, die Inhaftierten als friedliche und vollwertige Mitglieder der Gesellschaft fit zu machen, sondern eben auch als Väter. 

Es kann durchaus sein, dass ein Vater bei Strafantritt ein vielleicht einjähriges Kind hat – das dann aber bereits acht Jahre ist, wenn er zurückkehrt. Diese Väter müssen ihre Vaterrolle zuerst lernen. Auch in dieser Hinsicht ist die Haftstrafe eine Vorbereitung auf die Zeit danach. 

Die Ausflüge mit meinen Kindern sind von unschätzbarem Wert. Ich kann eine Lücke schliessen.

In diesem Zusammenhang steht auch das Vater-Kind-Projekt, das im «Saxerriet» erst als Pilot getestet worden ist und jetzt neu zum festen Bestand der Angehörigenarbeit gehört. In diesem Projekt können inhaftierte Väter mit ihren Kindern einmal pro Monat einen Tag lang zusammen sein und etwas unternehmen – sei es einen Ausflug machen, sei es einfach Würste grillieren am Rhein. «Das sind jeweils begleitete Gruppenanlässe, bei welchen mehrere Väter mit ihren Kindern einen Tag lang unterwegs sind», erzählt Barbara Reifler. 

Für Herr A. sind diese Ausflüge von unschätzbarem Wert. Es sind richtige Highlights. Ich kann an diesen Tagen das Vertrauen zwischen mir und meinen Kindern halten und das Band zu ihnen festigen. Es gelingt mir so, zumindest einen Teil der Lücke zu schliessen, die meine Haft hinterlässt.»