Fredy, du bist seit Mitte März wieder im Amt und hast im Mai auch das Regierungspräsidium wieder übernommen. Wie geht es dir?
Es geht mir gut. Der Heilungsprozess verläuft optimal und überdurchschnittlich schnell. Ich war nach dem Unfall Anfang Oktober rund einen Monat im Spital. Die anschliessende Reha hat mich dann mit grossen Schritten vorwärtsgebracht. Der schnelle Genesungsprozess hat aber auch eine tückische Seite. Die Ärzte haben mich gewarnt, vorsichtig zu bleiben. Menschen, die nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zu schnell Fortschritte machen, neigen dazu, sich zu überfordern und dann einen Rückschlag zu erleiden. Deshalb bin ich den Wiedereinstieg behutsam angegangen.
Du hattest Ende Mai während einer Regierungssitzung einen epileptischen Anfall. Gibt es einen Zusammenhang zum Unfall?
Das könnte schon sein. Hirnzellen wachsen nach einer Verletzung nicht mehr nach. Das menschliche Gehirn hat aber die Fähigkeit, seine Funktionen nach einer solchen Verletzung in unversehrte Regionen zu verteilen, es bleibt so funktionsfähig. Zum andern bilden sich nach einer schweren Verletzung Narben am Hirngewebe. Diese Narben können dann epileptische Anfälle auslösen, das weiss man.
Beeinträchtigt das nicht deine Arbeit?
Diese Anfälle können medikamentös behandelt und zum Verschwinden gebracht werden. Es braucht gemäss meinen Ärzten etwas Zeit, die Dosierung der Medikamente auszutarieren. Ich bin aber zuversichtlich, dass ich meine Arbeit wie gewohnt erledigen kann.
Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen offensichtlich mit einem mit, und sie haben auch das Bedürfnis, das zu zeigen.
Der Unfall war sehr heftig.
Ja, zu Beginn war ich in einer lebensbedrohlichen Situation, ich hatte beim Sturz einen schweren Schädelbruch und eine schwere Hirnverletzung erlitten. Ich kann mich weder an den Unfall noch an die vier Wochen im Spital erinnern, meine Erinnerung setzt erst in der Zeit der Reha wieder ein. Es ist auch nicht klar, weshalb ich an jenem Donnerstag plötzlich ohnmächtig wurde und dann bewusstlos auf den Hinterkopf gestürzt bin. Ich bin auf Herz und Nieren getestet worden, bis jetzt fehlt aber die Erklärung für jene plötzliche Ohnmacht.
Die Anteilnahme in der Bevölkerung war spürbar. Wie hast du das empfunden?
Ich habe das auch so wahrgenommen. Ich habe Zuschriften aus der ganzen Schweiz erhalten, phasen–weise war es täglich eine ganze Beige. Die Anteil–nahme war wirklich sehr gross, ich habe sehr viel Unterstützung und viele gute Wünsche erhalten. Zu Beginn hatte ich Angst, dass mein Unfall politisch ausgenützt werden könnte, etwa mit Rücktrittsforderungen. Nichts dergleichen geschah. Auch die Medien haben sich sehr zurückgehalten. Am meisten gefreut hat mich, dass die Menschen auch meine Familie miteinbezogen haben. Meine Frau bekam oft Blumen nach Hause geschickt.
Wie wurdest du empfangen, als du im März zur Arbeit zurückgekommen bist?
Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir sehr viel Freude und Wohlwollen entgegengebracht, dass ich zurück bin, es gab viele Mails und ebenso viele Blumen. Es war aber auch die Erleichterung spürbar, dass der Chef jetzt wieder da ist und damit der direkte und unmittelbare Kanal in die Regierung.

Wie begegnen dir die Mitarbeitenden im Lift? Sprechen sie dich an?
Ja, sogar oft, sei es im Gang draussen, auf der Treppe, im Lift. Meine Regierungskolleginnen und -kollegen hatten während der schwierigen Zeit mit mir gelitten, das weiss ich. Aber auch die Mitarbeitenden. Das wird jetzt in den spontanen Begegnungen offensichtlich. Die Leute in der Verwaltung kommen jetzt viel spontaner auf mich zu und fragen, wie es mir geht.
Und wie ist das draussen auf der Strasse?
Da ist es ganz ähnlich. Ich werde jetzt häufiger angesprochen von Leuten, die ich gar nicht kenne. Es ist schon speziell, wenn wildfremde Personen auf einen zukommen. Ein Mann hat mir einmal über die Strasse hinweg zugewinkt und gerufen «Schön, dass es Ihnen wieder besser geht!» Mich hat das insgesamt sehr überrascht und auch berührt. Die Leute waren vorher verhaltener, jetzt sind sie persönlicher. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen offensichtlich mit einem mit, und sie haben auch das Bedürfnis, das zu zeigen.
Ist das nicht auch lästig?
Bis jetzt nicht. Solche Reaktionen freuen mich, ich fühle mich unterstützt. Das gilt auch für die Politikerinnen und Politiker. Parteigrenzen und dergleichen spielen in einer menschlich schwierigen Situation offensichtlich keine Rolle. Mich hat diese Empathie auch innerhalb des politischen Systems positiv überrascht, unser System funktioniert gut.
Abgesehen von aussergewöhnlichen Situationen: Sind Bürgerinnen und Bürger nicht eher scheu, wenn sie einem Regierungsrat oder einer Regierungsrätin begegnen?
Natürlich ist eine gewisse Scheu spürbar. Aber das hat sich in den vergangenen Jahren verändert, die Begegnungen sind generell offener und lockerer geworden. Ich glaube, dass es die Bürgerinnen und Bürger sehr schätzen, wenn man zu ihnen geht, etwa im Rahmen von öffentlichen Anlässen oder Ausstellungen und dergleichen. Das ist ein Zeichen der Wertschätzung, das Regierungsmitglieder der Bevölkerung geben können, und es wird von den Bürgerinnen und Bürgern auch als solches wahrgenommen.
Ich war im Innersten angegriffen, mein Fundament war angeknackst.
Dein Leben hat sich mit dem Unfall von einem Moment auf den andern grundlegend verändert. Wie steckt man das weg?
Ich war nicht vorbereitet auf einen solchen Schlag. Am Anfang war es sehr schlimm. Ich habe gemerkt, dass nichts mehr geht. Meine Arbeit war weg, es war unklar, ob ich je wieder als Regierungsrat arbeiten kann. Damit war ich als Person im Innersten angegriffen, weil mein Fundament angeknackst war. Ich wusste zu Beginn nicht, wie ich das wegstecken sollte. Ich fragte mich: Wieso ich? Warum ist das passiert? Was jetzt? Muss ich mich von Grund auf neu erfinden? Ich war vollkommen unvorbereitet.

Wie kommt man da wieder raus?
Ich habe in der Reha grosse Unterstützung erhalten. Irgendwann merkte ich: Es muss nötigenfalls auch ein Leben ohne Amt geben. Der Heilungsprozess verlief dann so gut, dass ich mir irgendwann sagen konnte: Hey, eigentlich habe ich riesiges Glück gehabt. Diese Einsicht hat mir geholfen, meine Situation zu akzeptieren. Von da an konnte ich wieder nach vorne schauen.
Und was war das Schlimmste?
Zu realisieren, dass ich schwer verletzt bin und dass ich möglicherweise knapp am Tod vorbeigegangen bin. Realisieren müssen, dass ich möglicherweise nie wieder das machen kann, was für mich das Zentralste war: Mitglied der Regierung sein. Ebenfalls sehr schlimm war, realisieren zu müssen, dass ich bei einem schlechten Heilungsverlauf ein Pflegefall werden könnte.
Nun bist du zurück. Was machst du 2024 und danach?
Ich gehe Ende Mai 2024 in Pension, das habe ich schon früher bekannt gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nach meiner Pensionierung wieder als Anwalt arbeite. Und ich nehme bis zu meiner Pensionierung sicher kein Amt für die Zeit danach an. Irgendetwas kommt dann aber schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich am Morgen einfach aufstehe, Kaffee trinke und die Zeitung lese.