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Richten und vertrauen

Der 34-jährige Arthur Brunner hat sich als Richter und als Schiedsrichter einen Namen gemacht. Hier die Handballspiele an Weltmeisterschaften, dort die Arbeit im Gerichtssaal. Gibt es da Verwandtschaften?

Interview Markus Wehrli | Foto Thomas Hary

Richten und vertrauen

Der 34-jährige Arthur Brunner hat sich als Richter und als Schiedsrichter einen Namen gemacht. Hier die Handballspiele an Weltmeisterschaften, dort die Arbeit im Gerichtssaal. Gibt es da Verwandtschaften?

Interview Markus Wehrli | Foto Thomas Hary

Arthur, du hast kürzlich das Spiel Wacker Thun gegen den HC Kriens-Luzern gepfiffen. Gab es viel zu tun?
Nein, es blieb eher ruhig. Ich glaube, es war das erste Spiel in Thun, bei dem das Heimteam keine einzige Strafe erhielt. Die Mannschaft spielt vor allem zu Hause intensiv und robust, sie ist eine typische Stimmungsmannschaft.

Wie ist das, wenn ein Spiel viel Fahrt hat und das Publikum tobt?
Das kann sehr eindringlich sein, vor allem, wenn das Publikum einem direkt im Rücken sitzt. Daran muss man sich gewöhnen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, in Situationen, in denen viel Dampf ist, innerlich die nötige Distanz zu nehmen. Das nimmt Druck.

Handball ist ein schnelles Spiel. Viel Zeit bleibt nicht für langes Überlegen…
Ja, die Entscheide fallen immer unmittelbar und intuitiv. Würde ich vor dem Pfiff überlegen, würde das als Unsicherheit aufgefasst werden. Und mein Entscheid würde dann sofort hinterfragt. Ein schneller Entscheid ist massgebend für die Glaubwürdigkeit.

Wie geht das, aus dem Bauch heraus entscheiden?
Sehr wichtig ist, dass ich immer am richtigen Ort stehe. Ich muss erahnen, wie das Spiel läuft, was als Nächstes passieren könnte, um dann am richtigen Ort zu sein, wenn es tatsächlich passiert. Der Pfiff ist dann einfach der Endpunkt. Solche Intuition braucht aber viel Erfahrung.

Das erinnert an einen Hirtenhund, der seine Herde im Zaum hält und sie dirigiert.
Ja, das hat etwas. Auf dem Spielfeld läuft sehr vieles nonverbal. Ich muss nah bei den Spielern stehen, ich muss ihnen zeigen, dass ich da bin, ihnen in die Augen schauen und so zu verstehen geben, dass ich jeden ihrer Schritte sehe. Das wirkt.

Es geht in beiden Fällen darum, möglichst korrekt zu entscheiden, aber ebenso um die Akzeptanz dieser Entscheide.

Ein Richter macht es umgekehrt. Er denkt viel.
Das stimmt nur zum Teil. Auch ein Richter hat seine Intuitionen, wenn er an einen Fall herantritt, und er arbeitet auch mit den Leuten. Im Unterschied zum Schiedsrichter muss er seine Intuition aber auf den Prüfstand stellen. Er muss sich einlesen in den Fall und sich fragen, ob er wirklich auf dem richtigen Pfad ist mit seiner Intuition. Im Idealfall entstehen so gute Urteile.

Ist diese Intuition eher hinderlich oder ist sie die Bedingung, einen Fall überhaupt zu verstehen?
Ich glaube, die Intuition ist notwendig. Man spricht in diesem Zusammenhang von Vorverständnis, mit welchem ein Richter an einen Fall herangeht. Damit das Vorverständnis nicht zur vorgefassten Meinung wird, muss ein Richter sie auch hinterfragen und wenn nötig korrigieren können.

Gibt es Parallelen zwischen der Arbeit eines Schiedsrichters und eines Richters?
Ja. Es geht in beiden Fällen darum, möglichst korrekt zu entscheiden, aber ebenso um die Akzeptanz dieser Entscheide. Hier wie dort haben wir unseren Job dann gut gemacht, wenn die Leute einen Entscheid akzeptieren. Das geht über den juristischen Aspekt hinaus. Wenn ein Richter als kompetent und fair wahrgenommen wird, weil er sich Mühe gibt, weil er sich gut eingelesen hat und weil er zugehört hat und die Leute damit ernst genommen werden, akzeptieren sie auch das Urteil.

Und auf dem Spielfeld?
Ich sage immer: Du kannst als Schiedsrichter noch so richtig entscheiden, es nützt nichts, wenn die Spielerinnen und Spieler den Entscheid nicht annehmen. Die Leute auf dem Platz müssen dir vertrauen. Und das geht nur über Beziehungspflege. Das bedeutet, ich muss konstant das Gefühl vermitteln, dass ich aufrichtig bin, dass ich fair entscheide, dass ich auch unter Druck neutral entscheide. Es geht wie beim Richter um Vertrauen.

Als Schiedsrichter warst du auf internationalem Parkett, du hast an Olympischen Spielen, Europa- und Weltmeisterschaften gepfiffen, dir stand eine lange Karriere ganz oben bevor. Dann kam die Wahl als nebenamtlicher Richter ans Bundesgericht und du hast die internationale Karriere aufgegeben – weshalb?
Es war ein Entscheid zugunsten meiner Familie. Wir haben zwei Kinder. Ich habe mich für mehr Familienzeit entschieden. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich auf internationaler Ebene alles gesehen habe, und schliesslich bleibt mir ja der Handball hier auf nationaler Ebene. Der Entscheid stimmt so für mich.

Du hast keinerlei Reue?
Nein, lustigerweise nicht bis jetzt.