Unten rauschen die Autos durch den Tunnel der Stadtautobahn. Oben, auf dem Fussballfeld neben dem Botanischen Garten, dribbelt ein Fünfjähriger über den Platz. Er passt den Ball seinem Vater, übt dann wiederum die Ballannahme, zielt aufs Tor, trifft. Jeden Tag spielen Vater und Sohn zusammen. Voll konzentriert und ohne laute Worte, die beiden sind stille Schaffer.
Dreizehn Jahre später sitzt der Junge von damals in einem Sitzungszimmer des Bildungsdepartementes und erzählt von seiner Ausbildung zum Kaufmann. Ein Jahr lang war er beim Amt für Sport. Jetzt, im letzten Lehrjahr, arbeitet er je ein halbes Jahr auf dem Generalsekretariat und im Amt für Berufsbildung. Er bereitet Sitzungen vor, schreibt Rechnungen und besonders gerne stellt er den Pressespiegel zusammen, «weil ich mir dann Zeit nehmen kann, die Zeitungen zu lesen». Ein ganz normaler Lernender also. Fast. Tarik Seferovic hat im Sommer einen Profivertrag beim FC St. Gallen unterschrieben.
Zwischen Schulbank, Bürostuhl und Spielfeld
Wie wird man vom fussballbegeisterten Knirps zum Profisportler? «Mit harter Arbeit», konstatiert Tarik. Natürlich habe er Talent, aber ohne seine Beharrlichkeit wäre er nicht so weit gekommen. An trainingsfreien Tagen ging Tarik allein auf den Rasen. Unermüdlich feilte er an seinem schwächeren linken Fuss. Heute gelte er als «beidfüssig», erzählt Tarik und lacht: «Die Überstunden haben sich also ausbezahlt.»
Seine (entfernte) Verwandtschaft mit Namensvetter Haris hat für Tariks Weg keine Rolle gespielt. Auch auf den Titel des «neuen Seferovic» verzichtet er gern. «Ich will meinen eigenen Weg gehen», steht für Tarik fest.
Die Scouts des FC St. Gallen haben das Potenzial von Tarik früh erkannt und ihn als 12-Jährigen vom SC Brühl in ihr Nachwuchsprogramm geholt. Seither ist Tariks Alltag klar vorgegeben: Schule, Training, am Wochenende Match. Freiheiten, wie andere Jugendliche sie haben, kennt er kaum – stinkt ihm das manchmal? «Wenn ich meinen Traum erreichen will, muss ich da durch.» Zeit für Kollegen und Familie bleibt am Samstag nach dem Spiel oder am Sonntag Nachmittag. Besonders wichtig ist Tarik der Kontakt zu seinen alten Schulfreunden, die nicht im Fussballgeschäft sind. Mit ihnen spielt er Padel oder geht ins Kino und kann dabei vom Sportleralltag abschalten.
Die Lehre abzubrechen und nur auf den Fussball zu setzen, kam für Tarik nie in Frage. Auch wenn es schwierige Phasen gab und der Druck gross ist: «Eine Verletzung kann alles verändern. Da brauche ich eine zweite Option.» Statt der normalen Berufsschule besucht Tarik die United School of Sports, die sich auf Spitzensportlerinnen und Spitzensportler spezialisiert hat. Die Lehre wird dabei von drei auf vier Jahre gestreckt, sodass mehr Absenzen möglich sind.
Auch der Verein unterstützt ihn dabei, einen Abschluss zu machen. Doch der Spagat zwischen Ausbildung und Fussballplatz bleibt gross und fordert auch vom Lehrbetrieb Flexibilität: «Manchmal kann ich meiner Ausbildnerin erst am Wochenende schreiben, wie mein Trainingsplan für die nächste Woche aussieht.»
Kein Mann der lauten Worte
«Tarik, der Ruhige», so würden seine Trainer ihn beschreiben. Trotzdem übergaben sie ihm letzte Saison im U19-Team die Captainbinde. Diese Rolle als Vermittler auch neben dem Platz hat Tariks Selbstvertrauen gestärkt, «weil es mir gezeigt hat, dass man nicht unbedingt laut sein muss, um akzeptiert zu sein».
Ruhe bewahrt er auch am 22. Juli dieses Jahres. Im Testspiel gegen den spanischen Erstligisten Villarreal CF steht der Aussenverteidiger Tarik in der 83. Minute allein vor dem Goalie. Abgeklärt schiebt er den Ball zum 2:1 ins Tor. Tarik ballt die Faust, die Teamkollegen umarmen ihn, 4885 Fans im Kybunpark jubeln. Sein erstes Goal mit der 1. Mannschaft.
Seitdem werde er ab und zu auf der Strasse erkannt. Besteht da die Gefahr abzuheben? Tarik schüttelt den Kopf: «Ich bin bodenständig aufgewachsen und werde es immer bleiben. Egal wie meine Karriere verläuft.»
«Ich bin bodenständig aufgewachsen und werde es immer bleiben. Egal wie meine Karriere verläuft.»