Porträt von Christoph ILL

In den Fängen des Staatsanwalts

Text: Markus Wehrli, Mitarbeiter Kommunikation, Staatskanzlei
Foto: Thomas Hary

Porträt von Christoph ILL

In den Fängen des Staatsanwalts

Text: Markus Wehrli, Mitarbeiter Kommunikation, Staatskanzlei
Foto: Thomas Hary
Geht es um Befragung und Befragungstechniken, ist Christoph ILL ein gefragter Mann. ILL ist seit rund einem Jahr Erster Staatsanwalt des Kantons St.Gallen – ein Mann mit Charisma, einer, der seinen Beruf liebt. Er hat die Nachfolge von Thomas Hansjakob angetreten, eine Lichtfigur in der St. Galler Justiz. ILL spricht über das Gewicht dieses Erbes, über das Geheimnis seines Berufs und weshalb er nicht gerne zuvorderst auf der Bühne steht.

Als Christoph ILL eine befristete Stelle als Untersuchungsrichter in St.Gallen antritt, weiss er noch nicht, dass er damit seine Karriere begründet. Das war Anfang der 90er-Jahre. «Ich bin zufällig zu meinem Beruf gekommen», sagt ILL. Der oberste Staatsanwalt des Kantons St.Gallen schreibt sich tatsächlich mit zwei grossen «L». Sonst würde sein Name so aussehen: Christoph Ill. Und der eine oder andere würde dann lesen: «Christoph der Dritte».

ILL sitzt in seinem Büro. Er ist gross gewachsen, hat eine sportliche Figur, ist schlicht gekleidet in Jackett, Jeans und Hemd. Etwas wie sein Markenzeichen: das dichte, graue, lange und leicht gewellte Haar. Eine Löwenmähne. Schnell wird im Gespräch klar: Der Mann ist ein Kommunikator. Einer, der sich aufs Reden versteht, aufs Gespräch, aufs Zuhören. Dinge, die auch Kernstück der Arbeit eines Staatsanwalts sind. In einen Dialog treten mit dem Gegenüber, reden, genau zuhören – nämlich bei der Einvernahme von Beschuldigten. Das liegt Christoph ILL. Das liebt er, das kann er. «Mich hat dieser Aspekt schon bei der ersten Stelle als Untersuchungsrichter fasziniert. Herausfinden, was bei einem Delikt wirklich passiert ist, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Eine analytische, fast detektivische Arbeit.»

Ein grosses Erbe  

Seit mehr als einem Jahr ist Christoph ILL oberster Staatsanwalt des Kantons, Nachfolger des an einem Herzversagen verstorbenen Thomas Hansjakob. ILL ist zu diesem Zeitpunkt bereits Leitender Staatsanwalt des kantonalen Untersuchungsamts. Das neue Amt als oberster Staatsanwalt hat ihn gereizt. Es gehe jetzt um organisatorische und personelle Aufgaben, um die Weiterentwicklung der Staatsanwaltschaft, sagt der 59-Jährige: «Die Verantwortung dafür habe ich gerne übernommen.» Und die Fussstapfen seines Vorgängers Thomas Hansjakob? «Die sind riesig. Thomas Hansjakob war und ist Vorbild für mich. Er war ein Macher, einer, der stets vorwärtsstrebte. Das ist ein grosser Ansporn für mich.»

Die Leute im Gespräch öffnen

Thomas Hansjakob hatte grosse Medienpräsenz, er suchte diese zuweilen richtiggehend. «In dieser Hinsicht ist er kein Vorbild für mich», sagt ILL. Er spiele zwar in einer Rockband, aber nicht vorne an der Bühne – eher dezent in der zweiten Reihe, am Keyboard. «Ich lege keinen Wert darauf, mein Gesicht in den Medien zu sehen. Mir fehlt das Sendungsbewusstsein, ständig in der Öffentlichkeit zu stehen.» Man glaubt es ihm. Christoph ILL wirkt freundlich, zuvorkommend, er hat weiche Gesichtszüge. Da sitzt ein interessierter, präzis denkender Mensch. Einer, dessen Körper arbeitet, wenn er spricht, einer, der buchstäblich mit den Worten ringt.

Das Gespräch kommt auf das Kerngeschäft des Staatsanwalts zurück, die Einvernahme. Eine Formulierung lässt aufhorchen: «Jemanden öffnen. Jemanden aufmachen.» Damit ist die Mechanik der Einvernahme gemeint: Den Beschuldigten zum Reden bringen, indem man ihn aufmacht. Damit so ans Licht kommt, was passiert ist, und damit der Staatsanwalt entscheiden kann, ob es zur Anklage kommt – oder eben nicht.

Jemanden «aufmachen». Die Formulierung lässt einen erschaudern. Unweigerlich denkt man an handfeste Manipulation. «Darum geht es gerade nicht», sagt Christoph ILL. «Jemanden einvernehmen heisst, mit ihm oder ihr in ein Gespräch zu kommen. Diese Leute sind unter Stress, wenn sie hier sind. Ein Staatsanwalt muss Vertrauen schaffen, damit sie reden und erzählen. Das ist das Gegenteil einer konfrontativen, suggestiven oder manipulativen Befragungstechnik.» ILL ist Experte auf dem Gebiet der Befragung. Er hat die Technik perfektioniert und ist wegen seines Fachwissens ein gefragter Mann. «Leute zum Reden bringen»: So heisst ein Kurs, den ILL am MAZ gibt, an der Schweizer Journalistenschule in Luzern. Kein Wunder, interessieren sich Journalisten für ILLs Fachwissen. Auch für sie ist Leute befragen täglich Brot.

Das Mundwerk als Waffe

Sei es als Ärztin, als Strafverfolger, Journalistin oder Therapeut, es gehe all diesen Berufsleuten stets um dasselbe: Wie komme ich an die relevanten Informationen heran, die die richtigen Schlüsse zulassen? Christoph ILL setzt ganz auf den Informationsgewinn im Gespräch. Und schmunzelt gleichzeitig über die Grenzen des Modells. Diese zeigen sich zum Beispiel bei der Einvernahme eines Betrügers. «Dann funktioniert das alles nicht. Ein Betrüger hat dann seine stärkste Waffe dabei und macht auch Gebrauch von ihr, nämlich seine manipulative Macht im Gespräch. Er seift Sie mit jedem einzelnen Wort ein.»