Krieg in der Ukraine – «Ich verdränge meine Angst»

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt Regierungspräsident Fredy Fässler privat wie auch beruflich. Im Pfalzbrief erzählt der Vorsteher des Sicherheits- und Justizdepartementes, wie er mit der Bedrohungslage umgeht und weshalb er von der Gesellschaft mehr Toleranz fordert.

Das Gespräch führte Thomas Zuberbühler, Leiter Kommunikation Staatskanzlei

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Welchen Krieg haben Sie erstmals bewusst wahrgenommen?

Das war der zweite Weltkrieg. Den hatte ich zwar nicht selber erlebt, aber mein Grossvater wurde eingezogen. Der Krieg war deshalb noch lange Thema bei Besuchen bei den Grosseltern. Der erste Krieg, den ich dann bewusst wahrgenommen habe, war der Vietnamkrieg. Aber der fand so weit weg statt, dass ich ihn nicht als existenzielle Bedrohung empfand.

Jetzt haben wir einen Krieg in Europa – wie nehmen Sie den Krieg wahr?

Laut meiner Frau habe ich schon immer gesagt, die Welt sei nicht so stabil, wie man es vermuten könnte. Aber ich habe niemals damit gerechnet, dass in Europa wieder ein Krieg ausbrechen würde. Der Krieg beschäftigt mich – viel mehr, als es beispielsweise die Covid-19-Pandemie tat.

Was genau beschäftigt Sie?

Als Jurist und Politiker habe ich immer das Ziel, dass Konfliktsituationen in geordneten Strukturen angegangen werden können. Hier aber hat das nicht funktioniert, es herrscht Krieg. Die Völkergemeinschaft hat versagt, das enttäuscht mich.

Viele fürchten sich vor einer Ausweitung des Kriegs. Spüren Sie diese Angst auch?

Ja, aber ich verdränge sie.

Tausende Personen flüchten vor dem Krieg auch zu uns in die Schweiz. Sie haben sich seit Beginn des Kriegs kritisch dazu geäussert, dass Private Flüchtlinge aufnehmen. Weshalb?

Ich bin dankbar für die grosse Solidarität. Im Jahr 2015, als viele Menschen aus dem Nahen Osten flohen, gab es auch viele Einwohnerinnen und Einwohner, die Geflüchtete aufnehmen wollten. Wir haben dann aber festgestellt, dass es oft und schnell zu Konflikten zwischen den Bewohnenden kam. Die Erwartungen waren unterschiedlich. Das führt zu viel Aufwand und Frust bei allen. Deshalb war ich von Beginn weg eher kritisch eingestellt gegenüber der privaten Unterbringung von Geflüchteten.

Sie wohnen aber in einem Haus in der Stadt und hätten genug Platz. Haben Sie sich nicht überlegt, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen?

Ja, das haben wir. Wir sind aber beide berufstätig. Wer Geflüchtete bei sich aufnimmt, muss diese hier und dort unterstützten oder betreuen, zum Beispiel für Behördengänge. Im Moment wären wir schlecht in der Lage, dies zu leisten. Wenn aber hunderttausende Geflüchtete in unserem Land Schutz suchten, würden wir auch unser Haus öffnen.

Sie sind aktuell der Präsident der kantonalen Polizei- und Justizdirektorinnen und –direktoren und suchen im Zusammenspiel mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Sonderstab Asyl auf nationaler Ebene Lösungen. Was tun Sie dort genau?

Ich vertrete im Sonderstab die Kantone. Dabei geht es beispielsweise um Fragen, wie gut die Kantonszuteilungen funktionieren oder wie wir vorgehen wollen, wenn eine geflüchtete Person den Kanton wechseln möchte.

Der kantonale Führungsstab ist wegen des Kriegs nach Corona bereits wieder im Einsatz. Wie beurteilen Sie die Arbeit des KFS?

Er macht eine sehr gute Arbeit und ich bin dankbar, dass sich unsere Fachleute darin engagieren. Er bestreitet wichtige Koordinations- und Hilfsaufgaben. Die Ausgangslage ist aber anders als zu Beginn der Covid-19-Pandemie. In der aktuellen Situation sind die Zuständigkeiten zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden klar verteilt, dies vereinfacht die Zusammenarbeit. Das war bei Corona nicht so.

Während der Pandemie wurde oft über die Toleranz gesprochen. Als neuer Regierungspräsident legen Sie den Schwerpunkt darauf. Wie möchten Sie etwas bewirken?

Die Toleranz ist das Fundament unserer Gesellschaft. Toleranz aber ist eine komplizierte Sache, das habe ich während Corona selber gemerkt. Meine Toleranzschwelle hat irgendwann gegriffen. Ich habe mich zu hinterfragen begonnen: Bin ich nun intolerant?
Oder hat Toleranz auch Grenzen? Die Bevölkerung soll sich zur eigenen Toleranz Gedanken machen.

Wo endet für Sie die Toleranz?

Gute Frage. Tolerant sein gegenüber einer intoleranten Person beisst sich aus meiner Sicht. Wenn jemand keine andere Meinung zulässt, dann endet für mich die Toleranz. Interessant ist ja, dass meist intolerante Personen Toleranz erwarten. Selten gibt man Toleranz, sondern man fordert sie ein.

Ist Gleichgültigkeit das Resultat?

Nein, das darf es keines Fall sein. Haltung ist wichtig.