Susanne Uhl, in der Vadiana gibt es über eine halbe Million Bücher. Sind Sie eine Leseratte?
Als Kind war ich eine echte Leseratte und ich lese auch heute noch gerne in einem Buch. Aber neben dem Beruf bleibt leider oft nicht mehr viel Zeit dafür. In den letzten Jahren habe ich Hörbücher für mich entdeckt.
Was bedeuten Ihnen Bücher?
Ein Buch ist nur schon in materieller Hinsicht für mich ein Wertgegenstand, etwas Schönes und Erhaltenswertes. Ich habe während des Studiums selbst die kleinen Reclam-Bücher eingefasst, um sie beim Gebrauch zu schützen. Natürlich haben Bücher aber auch wegen des Inhaltes eine besondere Bedeutung für mich. Ein solches ist zum Beispiel die Werkausgabe des Mystikers Heinrich Seuse, der im 14. Jahrhundert gewirkt hat. Dieses Buch habe ich viele Dutzende Male gelesen. Bücher machen mich glücklich.
Und was mögen Sie an Bibliotheken?
Eine Bibliothek ist für mich wie ein Wissensschatz, der auf mich wartet. Ich brauche nur hineinzugehen und kann unendlich viel entdecken.
«In der Vadiana kann ich vieles bewegen und gestalten.»
Sie sind seit einem Jahr Leiterin der Vadiana. Gab es beim Start besonders prägende Momente?
Die Leute hier sind sehr offen und freundlich. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben mir vom ersten Moment an das Gefühl gegeben, dass sie sich freuen, dass ich hier bin. Das hat mich berührt. Wir haben ein sehr angenehmes Klima mit offenen Strukturen, die einen regen Austausch und ein motivierendes Miteinander ermöglichen.
Sie waren in der Direktion der Zentralbibliothek Zürich tätig, eine der grössten Bibliotheken der Schweiz. Wieso der Wechsel nach St.Gallen?
Die Arbeit in der Zentralbibliothek war für mich der Einstieg in die Bibliothekswelt. Nach fünf Jahren hatte ich jedoch das Bedürfnis, eine neue Herausforderung anzunehmen. Zudem hat mich beim Wechsel nach St.Gallen die Möglichkeit gereizt, vieles gestalten und bewegen zu können.
Eine solche Aufgabe ist die Zusammenführung der Kantonsbibliothek Vadiana mit der Stadtbibliothek. Wie weit beansprucht Sie das Projekt?
Es macht oft einen sehr grossen Teil meiner Arbeit aus und fordert mich in besonderer Weise. Einerseits muss ich auch heute noch so vieles lernen und kennenlernen, gleichzeitig haben wir im Projekt von Anfang an viele Entscheidungen getroffen, mit denen wir die Weichen für die Zukunft gestellt haben. Das war und ist sehr anspruchsvoll, aber auch sehr reizvoll.
Hat so eine grosse neue Bibliothek nicht etwas Elitäres?
Nein, eine Bibliothek ist eine Einladung an alle. Eine Bibliothek ist ein sozialer Treffpunkt, sie ist ein Veranstaltungsort und ein Ort der Inspiration. Hier kann jede und jeder ein- und ausgehen, Medien ausliehen, spielen, arbeiten, eine Zeitung lesen oder einfach nur verweilen – und das alles ohne Konsumzwang. Wo gibt es das heute noch in einer Stadt?
Wir leben mitten in der Digitalisierung, braucht es da Bibliotheken noch?
Ja, unbedingt. Denn Bibliotheken stellen nicht nur sehr viel Wissen in physischer und elektronischer Form bereit, sondern sie helfen den Menschen auch, dieses Wissen für sich zu nutzen. Die Kompetenz, sich in der Fülle an Wissen und Informationen zurechtzufinden, sie zu filtern und zu bewerten, ist heute wichtiger denn je. Diese Fähigkeiten zu vermitteln, gehört zu unseren Kernaufgaben. Und es ist übrigens bei weitem nicht so, dass alles Wissen bereits im Netz verfügbar ist. Die Bibliotheken haben viele Bestände, die nur analog vorhanden sind. Diese teilweise unikalen Bestände werden in sehr aufwändigen Projekten digitalisiert und auf Plattformen zur Verfügung gestellt. Sie können so jederzeit und von überall her genutzt werden und sie werden gleichzeitig vor Abnutzung geschützt.
Es lohnt sich also, alte Bücher zu pflegen?
Seit es Bücher gibt, wird das diskutiert. Die Grundfrage ist für mich eher, was uns unsere Identität und Kultur wert sind. Wenn wir fragen, wer wir sind und wohin wir wollen, dann sind unsere Herkunft und unsere Geschichte wichtig. Die Antworten darauf stecken in den Büchern. Also sollten wir sie pflegen.
Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Hanns-Josef Ortheil, «Ombra».