«Meine Kinder spielen mit dem Beat-Tinner-Traktor»

Freundschaft und Feindschaft in der Politik

Thomas Zuberbühler, Leiter Kommunikation, Staatskanzlei
Fotos: Thomas Hary

«Meine Kinder spielen mit dem Beat-Tinner-Traktor»

Freundschaft und Feindschaft in der Politik

Thomas Zuberbühler, Leiter Kommunikation, Staatskanzlei
Fotos: Thomas Hary

Die sozialdemokratische Regierungsrätin Laura Bucher und der bürgerliche Regierungsrat Beat Tinner standen sich während zehn Jahren im Kantonsrat gegenüber. Heute sitzen sie gemeinsam in der Regierung. Ein Gespräch über Freund- und Feindschaft in der Politik.

Wie mögen Sie sich eher, als Gegner oder als Freund?


Beide: Sowohl als auch.
Laura Bucher: Es ist wie im Sport. Wenn man einen starken Gegner hat, ist man gezwungen, besser zu werden.
Beat Tinner: In der politischen Auseinandersetzung war ich wohl eine Note gelassener und dachte mir jeweils: «Jetzt lassen wir mal die linke Bucher sprechen.» In der Regierung wiederum überlege ich mir oft, was wohl Lauras Perspektive ist.


Was ist die stärkste Waffe Ihres Gegenübers?


Laura Bucher: Beat liest die Geschäfte immer genau und ist sehr gut vorbereitet. Da kann man nichts reinschmuggeln.
Beat Tinner: Bei Laura schlägt die Juristin durch. Sie erkennt Mängel im Ablauf oder in einem formellen Teil sofort. Da macht man ihr nichts vor.

Hat Sie diese «Waffe» des Gegenübers früher im Kantonsrat genervt?


Laura Bucher: Regelmässig natürlich. Jedes Mal,
wenn Beat aufgestanden ist in der hintersten Reihe,
dachte ich: «Jetzt kommt der wieder mit seinem
Feldherrenhügel!» Dabei störte mich vor allem seine
einseitige Betrachtung der Lebensrealitäten.

Was hat es mit diesem «Feldherrenhügel» auf sich?


Beat Tinner (lacht): Den Feldherrenhügel hatte ich im Zusammenhang mit raumplanerischen Massnahmen eingebracht. Wenn wir gute Steuerzahlerinnen und Steuerzahler anziehen möchten, brauchen wir gute Wohnlagen.
Laura Bucher: Der Begriff «Feldherrenhügel» hat sogar Eingang in den aktuellen Ressourcenbericht der Regierung gefunden! Diese Diskussion führen wir immer noch: Was macht Standortattraktivität aus? Beat
würde den Akzent wohl eher beim Feldherrenhügel setzen und ich eher bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder beim Kulturangebot. 

Im parlamentarischen Spiel muss man attackieren. Wie haben Sie die Schwächen des Gegenübers genutzt?

Beide: Wir haben uns im Parlament über die Themen gestritten, aber nicht auf der persönlichen Ebene.


Also nie ein fieses Wort, eine kleine Bemerkung?


Beat Tinner: Nein, auch wenn das medial wirksamer gewesen wäre.


Sie fahren oft gemeinsam Zug. Worüber sprechen Sie?


Laura Bucher: Wir sprechen vor der Regierungssitzung nie über die Geschäfte, auch wenn wir zusammen
zur Sitzung fahren. So bleibt vor allem der Familienalltag. Mich nimmt es jeweils Wunder, wie es Beats Eltern geht. Ich weiss, dass er morgens vor der Arbeit oft bei ihnen vorbeigeht. Und Beat fragt mich regelmässig, was meine Kinder tun. Ich schätze diesen Austausch, da wir zeitgleich den Schritt in die Regierung gemacht haben. Das hat beide Leben verändert.
Beat Tinner: Laura hat bei einer Fahrt hausgemachtes Olivenöl bei meiner Frau bestellt. Es waren ganze 5 Liter!
Laura Bucher: Und meine Kinder spielen mit einem Traktor, den Beat im Wahlkampf geschenkt bekam. Sie sagen, das sei der Beat-Tinner-Traktor…
(Gelächter).

Wie prägt es Ihre Arbeit in der Regierung, wenn Sie sich so gut kennen?


Beat Tinner: Ich sage bei Lauras Geschäften wohl deutlicher, was ich meine. Weil ich weiss, was es leiden mag. Zudem weiss ich, wie ich Lauras Voten einschätzen muss. So ist man wohl etwas toleranter.
Laura Bucher: Es ist eine gewisse Vertrautheit da, weil man weiss, wie die andere Person wohl reagieren wird.
Von aussen betrachtet scheint die parlamentarische Arbeit teilweise bizarr: Zuerst greift man sich im Parlament an, danach geht man zusammen eins trinken. Wie erklären Sie das der Bevölkerung?
Laura Bucher: Das hat sicher mit der medialen Berichterstattung zu tun. Wenn man als Politikerin gehört werden will, gehören markige Voten dazu. Das Klima hat sich dadurch verschärft. Aber man muss die Politik vom Persönlichen trennen.

Kann man das so einfach trennen oder bleibt auch mal etwas hängen?

Beat Tinner: Man muss sich auch überwinden, mit der Gegnerin oder dem Gegner einen Kaffee trinken zu gehen. Aber Politik ist wie ein Theaterstück: Auf der Bühne ist man in seiner Rolle und später in der Pause wieder normal miteinander. Deshalb schätze ich es, dass die Mitglieder der Regierung nach der Regierungssitzung jeweils zusammen zu Mittag essen. Das ist für mich auch etwas «Seelenmassage», falls eine Diskussion mal heftiger geführt wurde als üblich.
Laura Bucher: Es gehört zu unserer politischen Kultur und zum Anstand, dass wir uns mit dem politischen Gegenüber auseinandersetzen, auch wenn das oft anstrengender ist.


Gibt es in Ihren Parteien auch Stimmen, die Ihre Nähe kritisieren?


Laura Bucher: Die sind zumindest bis jetzt nicht bis zu mir durchgedrungen.
Beat Tinner: Zu mir auch nicht.

Kann man in der Politik Freundschaften schliessen?


Beat Tinner: Ja, ich pflege zu vielen Leuten sehr gute Beziehungen. Aber diese Beziehungen sollen sich nicht alleine auf das Politische reduzieren.

Aber lernt man die Menschen hinter der Rolle in der Politik wirklich kennen oder bleibt es unpersönlich?


Laura Bucher: Ich glaube, im politischen Umfeld ergeben sich Freundschaften vor allem innerhalb der eigenen Partei, in der das Vertrauensverhältnis ein anderes ist, weil man die gleichen Werte teilt und lange gemeinsam unterwegs ist.


Wie profitieren Sie heute voneinander?


Laura Bucher: Um meine Perspektive zu erweitern, interessiert mich seine Meinung. Im Wahlkampf haben wir wohl gegenseitig voneinander profitiert. Wir traten an Podien oft gemeinsam auf, denn Beat suchte die Nähe zur Stimmkraft der Frauen. Diese habe ich eher angesprochen, während mir Beat den Zugang zu anderen Schichten eröffnet hat.
Beat Tinner: Das stimmt. Mir wurde im Wahlkampf vorgeworfen, ich würde keine Frauen fördern. Deshalb fördere ich Frauen in Kaderpositionen – aus tiefer Überzeugung.
Laura Bucher: Und ich erinnere dich auch immer daran … (Beide lachen.)