«Es braucht mehr denn je Sozialkompetenz»

Marion Loher, freischaffende Journalistin

«Es braucht mehr denn je Sozialkompetenz»

Marion Loher, freischaffende Journalistin

Varinia Dittadi ist Konkursbeamtin und arbeitet seit sieben Jahren in der Regionalstelle Buchs. Ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen im Kanton geht die Arbeit nicht aus. Die Zahl der Firmenkonkurse nimmt wieder zu.

Wenn Varinia Dittadi am Morgen ins Büro geht, weiss sie oft nicht, was sie an diesem Tag erwartet. Gibt es einen neuen Fall und muss sie gleich wieder auf die Pis­te? Oder kann sie ihre To-do-Liste erledigen? Varinia Dittadi ist sowohl für Privat- als auch für Erbschafts- und Firmenkonkurse zuständig. Letztere sind meis­tens sehr aufwendig und können, wenn der Entscheid des Gerichts am Morgen eintrifft, den Arbeitstag der Konkursbeamtin auf den Kopf stellen. Wie kürzlich, als über eine Baufirma das Konkursverfahren eröff­net wurde. Zunächst galt es zu klären, ob der Betrieb noch läuft. Da dies der Fall war, musste Varinia Dittadi sofort vor Ort sein und den Betrieb stoppen, mit der Führungscrew sprechen, Mitarbeitende orientieren und Konten sperren. Baustellen, Fahrzeuge und Maschinen galt es sofort zu sichern. «In einem ersten Schritt geht es jeweils darum, im Unternehmen so viel wie möglich für die Gläubiger zu sichern und so wenig Schaden wie nötig für die Kundschaft anzurichten», sagt die Kon­kursbeamtin. Diese Entscheide muss sie innert kurzer Zeit treffen – eine grosse Herausforderung. «Wir tragen viel Verantwortung und wissen um die Schicksale, die dahinterstecken. Deshalb braucht es in unserem Beruf heute auch eine grosse Portion Sozialkompetenz.»

Weniger Konkurse wegen Corona

Im vergangenen Jahr sind im Kanton St.Gallen 332 Firmenkonkurse eröffnet worden. Das sind rund 70 Fälle weniger als 2019 und so wenige wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Grund ist die Covid-19-Pandemie, wie Daniel Wild, stell­vertretender Leiter des Kantonalen Konkursamts, sagt. «Zum einen gab es im Frühling 2020 einen vom Bundes­rat angeordneten Rechtsstillstand von zwei Wochen, zum anderen blieben Unternehmen dank Hilfsmassnahmen wie Kurzarbeitsentschädigung, Härtefallgelder und Covid-19-Kredite der Banken liquid.» Für Wild ist aber klar, dass die Konkurse trotzdem kommen werden – ein­fach verzögert. Dies zeigen auch die Zahlen des ersten Halbjahrs 2021. «Die Firmenkonkurse liegen bereits 19 Prozent über jenen der Vorjahre.» Wider Erwarten ist es aber nicht die Gastrobranche, sondern das Baunebengewerbe, das mehr Geschäftsaufgaben meldet. Von einer Konkurswelle will Wild nicht sprechen. «Wir gehen aber davon aus, dass die Zahl in den nächsten Jahren steigen wird.» Jene der Privatkonkurse ist im Kanton seit Jahren konstant tief. Allerdings nehmen die Konkurs­eröffnungen aufgrund ausgeschlagener Erbschaften stetig zu: 2015 waren es 257 Fälle, 2020 bereits 320. «Heute wird schneller einmal eine Erbschaft ausgeschlagen, auch weil Erben nicht mehr bereit sind, Schulden der Erblasser zu übernehmen.»

«Ich versuche in schwierigen Situationen ruhig, aber bestimmt zu bleiben.»

Daniel Wild

Verfahren wird oft hinausgezögert

Varinia Dittadi arbeitet seit sieben Jahren im Konkursamt in Buchs, zuvor war sie als Betreibungsbeamtin tätig. Sie weiss, dass sie kein gern gesehener Gast auf der Baustelle, im Coiffeursalon oder im Kebab-Laden ist. «Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich nicht gerade herzlich empfangen werde», sagt sie mit einem Augenzwinkern. Umso wichtiger ist ihr eine transparente Kom­munikation auf Augenhöhe mit den Klientinnen und Klienten. Böse Anrufe oder Drohungen gegen sie hat es bisher nicht gege­ben. Allerdings sei es in Gesprächen auch schon laut geworden. «Ich versuche dann ruhig, aber bestimmt zu bleiben und den ge­meinsamen Weg aufzuzeigen.» Für die Konkursbeamtinnen und -beamten ist es in den vergangenen Jahren «mühsamer» geworden, in nützlicher Frist an Informationen und Unterlagen zu kommen. «Viele schalten einen Rechtsvertreter ein und zögern das Verfah­ren hinaus», sagt Varinia Dittadi. «Das ist kompliziert, kostet Geld und am Schluss müssen wir Strafanzeige einreichen, was nicht in unserem Sinn ist.» Oft würden sie und ihre Berufskolleginnen und -kollegen als «Bösewichte oder Totengräber» angesehen. Dagegen wehren sie sich vehement. «Das Betreibungs- und Konkurswesen hat eine wichtige Funktion im Rechtsstaat», sagt Daniel Wild. «Wenn es uns nicht gäbe, wären Private und die Wirtschaft viel weniger bereit, ein geschäftliches Risiko einzugehen.»