Laura und Marc, wir führen das Gespräch im Stillzimmer im Regierungsgebäude. Was für eine Bedeutung hat das Zimmer?
Laura: Als ich Kantonsrätin mit einem Baby war, musste ich zum Stillen auf die Büros der Mitarbeitenden der Parlamentsdienste zurückgreifen. Dieses Stillzimmer ist ein grosser Fortschritt und sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
Gibt es solche Zimmer in allen Gebäuden des Kantons?
Marc: Es gibt solche Zimmer in den grösseren Verwaltungszentren, aber nicht überall. Sie sind ein wichtiges Zeichen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Marc, du hast drei Kinder. Wie haben deine Frau und du die Betreuung aufgeteilt?
Marc: Meine Frau arbeitete 20 Prozent, als die Kinder klein waren, jetzt 35 Prozent. Wir nutzten das Kita-Angebot in unserer Wohngemeinde sowie die Betreuung durch die Grosseltern. Ich arbeite als Regierungsrat bekanntlich mehr als 100 Prozent.
Laura, du hast zwei Kinder. Dein Mann übernimmt mehrheitlich die Betreuung. Wie lange musstet ihr darüber diskutieren?
Laura: Wir hatten uns vor meinem Regierungsamt die Familienarbeit geteilt. Der Entscheid, zu kandidieren, war nicht einfach, weil mit meinem Amt dann eine neue, einseitigere Aufteilung folgte.
Was war die Knacknuss in der Diskussion?
Laura: Wir haben einfach die Erfahrung gemacht, dass es am besten für uns funktioniert, wenn wir die Verantwortung in der Erwerbsarbeit und bei der Kinderbetreuung gleichmässig aufteilen. Deshalb war dieser Schritt eine grosse Umstellung.
Ihr beide lebt unterschiedliche Rollenmodelle. Könntet ihr euch vorstellen, ganz in die Rolle eures Partners oder eurer Partnerin zu Hause zu schlüpfen?
Marc: Wenn ich zu 65 Prozent Hausmann wäre, würde ich zu Beginn sicherlich leiden. Aber man kann sich bekanntlich rasch an Änderungen gewöhnen.
Laura: Mein Mann arbeitet auch Teilzeit in einer Führungsposition. Für uns war immer klar, dass wir beide weiterhin in unseren Berufen tätig sein wollen.
Wenn ich zu 65 Prozent Hausmann wäre, würde ich zu Beginn sicherlich leiden.
Seit diesem Jahr haben Väter Anrecht auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Genügt das oder sollte der Kanton seinen Mitarbeitenden mehr anbieten?
Marc: Ich habe bei jedem Kind zwei Wochen Ferien genommen. Das hat uns als Eltern sehr geholfen, denn das Leben verändert sich mit jedem Kind. Es wäre gut, wenn für Väter, die das möchten, noch mehr Zeit zur Verfügung steht. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass beide Elternteile gemeinsam eine Anzahl Wochen erhalten und diese dann selbst untereinander aufteilen.
Du sprichst die Elternzeit an …
Marc: Genau. Ich erachte das Modell einer nationalen Elternzeit passender als über eine Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs zu diskutieren.
Laura: Die Elternzeit würde die Gleichberechtigung erhöhen. Es wäre auch im internationalen Vergleich angezeigt, insgesamt eine längere Elternzeit einzuführen.
Auch beim Mutterschaftsurlaub bietet der Kanton nur das Minimum. Viele Mütter verlängern mit Ferien oder unbezahltem Urlaub. Was schliesst ihr daraus?
Laura: Dass der Mutterschaftsurlaub mit heute 16 Wochen deutlich zu kurz ist. Das zeigt auch der Blick in andere Länder. Eine individuelle Verlängerung können sich nur Gutverdienende leisten und auch nur, wenn der Arbeitgeber / die Arbeitgeberin mitmacht.

Heute haben Mutter und Vater zusammen 18 Wochen zugute. Müsste eine Elternzeit also länger dauern?
Marc: Ja, ich würde eine moderate Verlängerung unterstützen. Ich möchte mich aber heute nicht auf eine Anzahl Wochen festlegen. Wichtig ist, dass mit der Elternzeit die Eltern flexibler werden. Sie können selbst entscheiden, wer wie lange bei den Kindern bleibt.
Laura: Eine gewisse Minimalzeit für die Mutter muss aber sichergestellt sein.
Die Regierung hat sich jedoch dagegen entschieden, im nationalen Parlament Druck beim Thema Elternzeit zu machen. Das wollte eine Gruppe von Kantonsrätinnen und Kantonsräten. Weshalb die defensive Haltung?
Laura: Das Thema ist national bereits lanciert und es gibt Kantone, die eine Elternzeit bereits eingeführt haben. Wir möchten zunächst warten, wie eine nationale Lösung aussieht, weil es auch Elternpaare gibt, die in unterschiedlichen Kantonen arbeiten.
Die Kinderbetreuung ist auch nach der Geburt ein grosses Thema. Kitas sind so teuer, dass sich Arbeiten-Gehen finanziell für einen Elternteil oft nicht lohnt.
Laura: Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Wer nicht oder nur in einem Kleinstpensum arbeiten geht, hat weniger in der Pensionskasse und ist damit im Alter deutlich benachteiligt. Aber ja, im Kanton St.Gallen müssen Eltern im schweizweiten Vergleich noch immer mehr Geld bezahlen für die Kita. Das soll sich aber ändern.
Inwiefern?
Laura: Wir möchten die kantonalen Fördergelder für die Kita-Betreuung auf 10 Millionen Franken erhöhen. Dieses Geld soll den Eltern zugute kommen. Am 19. November stimmen wir im Kanton darüber ab.
Marc: Auch Arbeitgeber haben eine Verantwortung. Sie können zusätzlich zur Kantonsunterstützung ihren Mitarbeitenden finanzielle Entlastung bieten. Das macht der Kanton als Arbeitgeber auch. Wir bieten Eltern in der Stadt St. Gallen vergünstigte Kita-Plätze an. Im Rest des Kantons vergüten wir die Differenz zu den Tarifen in der Stadt. Diese Lösung ist jedoch aus meiner Sicht verbesserungswürdig.
Wieso müssen immer die Mütter zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist? Oder den Haushalt nebenbei führen? Väter sind genauso gefragt.
Was ist konkret in Planung – mehr eigene Kitas des Kantons?
Marc: Nein, wir wollen das Abrechnungssystem vereinfachen und transparenter gestalten. Denkbar ist zum Beispiel ein Pauschalbetrag für die Kita-Betreuung pro Kind. Zudem soll es auch im Süden des Kantons Angebote geben wie in der Stadt St. Gallen, zum Beispiel über Kooperationen mit bestehenden Kitas.
Viele Eltern schätzen es, dass man beim Kanton Teilzeit und je nach Stelle auch im Homeoffice arbeiten kann – das zeigte meine Umfrage bei Kolleginnen und Kollegen.
Marc: Tatsächlich sind wir bei diesem Thema gut aufgestellt. Wir stellen auch fest, dass immer mehr Männer davon Gebrauch machen. Hier stehen wir als Kanton sehr gut da.
Teilzeit arbeiten und gleichzeitig Familie managen ist für viele aber mit grossem Stress verbunden. Auch das zeigte sich bei meiner Umfrage. Was ratet ihr?
Laura: Wieso müssen immer die Mütter zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist? Oder den Haushalt nebenbei führen? Väter sind genauso gefragt. Eine gleichberechtigte Aufteilung der Verantwortung hilft. Wir müssen in der Gesellschaft deshalb weiterhin über die Rollenbilder sprechen. Und über Teilzeitstellen in Führungspositionen …
… die gibt es ja noch nicht so oft beim Kanton.
Laura: Wir machen gute Erfahrungen mit Co-Leitungen bei einer Führungsposition bei uns im Departement.
Marc: Als Arbeitgeber können wir mit Flexibilität punkten und auch mal akzeptieren, dass jemand mit einem kranken Kind nicht ins Büro kommt, sondern von zu Hause aus arbeitet oder ausfällt.

Auch bei der Ferienbetreuung stossen viele Eltern auf Probleme: 4 bis 5 Wochen eigene Ferien stehen 12 Wochen Schulferien gegenüber. Kann der Kanton hier Abhilfe schaffen?
Laura: Es gibt Arbeitgebende, die Ferienprogramme anbieten, das wäre auch für den Kanton eine Diskussion wert. Ab Sommer 2025 müssen alle Gemeinden eine schulergänzende Betreuung inklusive einer Ferienbetreuung anbieten.
Wäre Jahresarbeitszeit eine Möglichkeit, Eltern übers Jahr unterschiedlich intensiv arbeiten zu lassen?
Marc: Ich bin ein Verfechter der Jahresarbeitszeit, aber noch mehr der Vertrauensarbeitszeit, bei der man die Arbeitszeit nicht mehr erfasst. Das brächte den Arbeitnehmenden mehr Flexibilität. Aktuell ist die Vertrauensarbeitszeit aber politisch nicht gewollt.
Laura: Bei mir im Departement gibt es einzelne Mitarbeitende, mit denen wir vereinbart haben, dass sie in gewissen Phasen des Jahres mehr, in anderen
weniger arbeiten. Damit machen wir sehr gute Erfahrungen. Individuelle Lösungen sind heute also schon möglich.
Ihr habt als Eltern eure Erfahrungen gesammelt. Was ist euer Tipp an zukünftige Eltern?
Laura: Ich empfehle, sich vor der Familiengründung Gedanken zu machen, wie man Erwerbs- und Familienarbeit aufteilen möchte. Darüber sollte man als Eltern und Paar laufend im Gespräch bleiben und das System immer wieder den Gegebenheiten anpassen.
Marc: Wichtig finde ich, eine für sich passende Lösung zu finden und dazu zu stehen, auch wenn die gewählte Lösung vielleicht nicht dem gängigen Muster entspricht.