Dominik Thiel, Meldungen zum Wolf lösen immer starke Emotionen aus. Haben Sie schon Morddrohungen erhalten?
Ja, das ist mehrere Male passiert. Beim letzten Mal rief ein Nutztierhalter aus einem Wolfsgebiet an und sagte: «Ich komme nach St. Gallen und ich erwürge Sie.»
Was macht das mit einem?
Weil das schon mehrere Male passiert ist, ist es mittlerweile nicht mehr so schlimm. Ich kann diese Drohungen besser einordnen. Und natürlich ist in solchen Fällen auch die Kantonspolizei involviert.
Richten sich die Drohungen auch gegen Ihre Familie?
Ja, auch das hat es gegeben. Dann heisst es jeweils «Ich weiss, wo Sie und Ihre Familie wohnen» oder «Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie zu Hause Besuch bekommen».
Wir sind für Wolfsschützer und Wolfsgegner eine Art Sündenbock.
Weshalb löst der Wolf diese Emotionalität aus?
Der Wolf kann potenziell auch eine Gefahr für den Menschen darstellen. Da sind Urängste im Spiel. In Märchen ist vom «bösen Wolf» die Rede, prompt glaubt auch meine Tochter, dass Wölfe böse sind. Und das ist nicht unbegründet: Unter ganz besonderen Umständen könnte es tatsächlich tödliche Zwischenfälle geben. Ganz real kämpfen wir aber damit, dass der Wolf unser System in der Alpbewirtschaftung durcheinanderbringt. So was haben wir Menschen nun mal nicht gerne.
Der Kanton publiziert nicht mehr jeden einzelnen Wolfsriss mit einer Medienmitteilung. Hat das etwas verändert?
Es brodelt in den Medien und in der Bevölkerung nicht mehr so heftig, weil das Thema nicht mehr ganz so neu ist. Die Transparenz ist aber weiterhin gewährleistet, weil wir alle Wolfsnachweise auf unserer Website aufführen. Ich glaube, die Medien haben sich langsam an den Wolf gewöhnt. Natürlich: Vertreter aus der Landwirtschaft sagen jetzt, der Kanton wolle die Wolfsproblematik herunterspielen und kommuniziere deshalb nicht mehr alle Zwischenfälle. Als wir zuvor noch jeden einzelnen Riss kommunizierten, hiess es bei den Schutzorganisationen, wir suchten damit nach Gründen, den Wolf abschiessen zu können und die Debatte anzuheizen. Wir sind für «Wolfsschützer» und «Wolfsgegner» eine Art Sündenbock, jede Aussage wird von einer Seite kritisiert.
Die Medien haben das Thema Wolf über Jahre gross gefahren, ärgert Sie das?
Nein, die Medien müssen dieses Thema bearbeiten, die Leserinnen und Leser interessiert das Thema. Wir hatten über Jahrzehnte keinen Wolf bei uns und müssen erst lernen, mit seiner Präsenz wieder umzugehen. Die Information durch die Medien ist dabei sehr wichtig. Weil der Wolf polarisiert, lässt sich eine gewisse Aufregung beim Thema nicht vermeiden. Diese Polarisierung wird so lange bestehen bleiben, bis wir den richtigen Weg gefunden haben, mit dem Wolf umzugehen. Konflikte und die Debatte darüber gehören zu diesem Prozess.
Wenn morgen eine Mitteilung zum Wolf publiziert wird, was kommt dann auf Sie zu?
Ich mache dann ein bis zwei Tage nichts anderes als Medienanfragen beantworten und Interviews geben. Meistens sind es zwischen 15 und 20 Anfragen, die eine Medienmitteilung auslöst. Die Berichterstattung über ein Ereignis mit dem Wolf löst zudem oft weitere Recherchen und Hintergrundberichte aus, die uns wiederum in Anspruch nehmen. Schliesslich führt die Berichterstattung auch zu Reaktionen aus der Bevölkerung, die uns beschäftigen, unter anderem zu den Drohungen.
Haben sich diese Drohungen im Verlauf der Zeit verändert?
Nein, das Muster ist dasselbe geblieben. Die Personen, die drohen, haben in der Regel Mühe mit dem Wolf, sie haben Angst vor der neuen Situation. Ich werde dann zur Zielscheibe, zum Beispiel weil diese Leute denken, ich beschütze den Wolf persönlich und verhindere etwa seinen Abschuss. Dann bekomme ich ihre Angst, ihr Unverständnis und ihre Wut zu spüren.
Macht Ihnen das nicht auch Angst?
Nein, aber man muss das schon aushalten können, es braucht einen breiten Rücken. Ich habe in den letzten Jahren viele Weiterbildungen gemacht im Bereich des Konfliktmanagements und habe so gelernt, wie ich mich in schwierigen Situationen verhalten und wie ich mit Bedrohungen umgehen muss. Im Kern geht es darum, einen Umgang mit solchen Situationen zu finden und Bedrohungen richtig einschätzen zu können. Weil ich das gelernt habe, kann ich mit solchen Situationen besser umgehen.
Auch bei Morddrohungen?
Wenn wie geschildert jemand anruft und sagt «Ich komme und ich erwürge Sie», dann muss man schon aufpassen, denn genau so reden potenzielle Täter. Aber dieser Mann sagte am Schluss des wirklich langen Telefongesprächs: «Jetzt verstehe ich Sie, Herr Thiel.» Und ich habe ihn verstanden. Er wollte mich auch nicht mehr umbringen. Wieso das funktionierte? Ich habe gelernt, dass man zuhören muss, die Person ernst nehmen und dass man diesen Menschen Verständnis für ihre Wut und Angst entgegenbringen muss. So kann man den Konflikt entschärfen. Dieses Telefongespräch war für mich ein Highlight in Sachen Konfliktbewältigung, es hat funktioniert.
Wenn man permanent Sündenbock ist, verändert man nicht automatisch die Einstellung, um dem Druck zu entgehen?
Ich habe meine Haltung zum Thema Wolf aufgrund der Sachlage anpassen müssen, nicht aufgrund der Drohungen. Früher dachte ich, dass es doch nicht so schwierig sein kann, ein Auskommen mit diesem Tier zu finden. Heute habe ich mehr Verständnis für die kritische Haltung der Bauern. Der Wolf stellt uns tatsächlich vor Probleme, er bringt deutliche Mehrarbeit, mehr Unsicherheit und bringt unser System durcheinander.
Mögen Sie den Wolf denn?
Der Wolf ist ein faszinierendes Tier. Aber richtig mögen tue ich andere Tiere: Vögel.
Person
Dominik Thiel wohnt im Zürcher Oberland, er ist verheiratet und Vater einer Tochter. Thiel studierte an der Universität Zürich Biologe, in seiner Doktorarbeit untersuchte er den Einfluss des Wintertourismus auf Auerhühner. Seine Hobbys sind Jagen, Fischen, Hühner züchten und Ornithologie.