Heute reden wir über fast alles – ausser über den Lohn, ein Bollwerk der Verschwiegenheit. Wieso eigentlich? Weshalb den Lohn nicht offenlegen? Wäre Lohntransparenz für die Angestellten nicht besser? Rahel Fenini argumentiert dafür, Lea Bühler hält dagegen.
Pro Lohntransparenz
Hierzulande ist der eigene Lohn ein fast so gut gehütetes Geheimnis wie das Rezept für den Appenzeller Käse. Während bei der Arbeit, zu Hause und unter Freund*innen über fast alles gesprochen wird – Politik, Sport oder Religion –, bleibt der eigene Lohn ein Tabu. Auch Unternehmen legen die Löhne ihrer Arbeitnehmer*innen nur selten offen. Aus Gleichstellungsperspektive ist jedoch klar: In einer Zeit, in der Lohndiskriminierung nach wie vor Realität ist, gilt es endlich, mit diesem Tabu zu brechen.
Die letzte Lohnstrukturerhebung 2018 des Bundesamtes für Statistik zeigt: Auf der Lohnabrechnung der Frauen sind im Durchschnitt jeden Monat 1512 Franken weniger als bei den Männern. 686 Franken davon können nicht mit objektiven Faktoren erklärt werden und enthalten eine potenzielle Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Doch Lohndiskriminierung kann nicht nur zwischen Frauen und Männern vorkommen, sondern auch zwischen ausländischen oder Schweizer Arbeitnehmenden, zwischen Vollzeitangestellten und Teilzeitangestellten.
Um diesem Zustand entgegenzuwirken und Lohndiskriminierungen sowie willkürliche Einstufungen in einem Lohnsystem zu minimieren, gilt es, Lohntransparenz umzusetzen. Denn sind Löhne transparent, dann steigt erstens der Druck, nachvollziehbare, angemessene und faire Löhne zu zahlen. Zudem müssen Arbeitgeber*innen die dahinterliegenden Kriterien, das heisst das Lohnsystem, logisch erklären können. Zweitens erfahren Frauen und Männer mehr über branchenübliche Löhne und können sich so besser auf Lohnverhandlungen, unter anderem an Bewerbungsgesprächen, vorbereiten. Drittens schliesslich wird damit für Lohnungleichheit sensibilisiert – und so wird ein wichtiges Gleichstellungsthema in den Fokus gerückt.
Rahel Fenini
Gleichstellungsbeauftragte, Departement des Innern
Contra Lohntransparenz
Mit einer grossen Mehrheit von 68 Prozent haben die Stimmberechtigten am 3. März 2013 die eidgenössische Volksinitiative «gegen die Abzockerei» angenommen. Die Initiative verfolgte das Ziel, mehr Transparenz und Mitbestimmung bei der Vergütung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in börsenkotierten Schweizer Unternehmen zu schaffen. Heute wissen wir: Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht. Das Transparenzgebot schuf vielmehr Anreize, Vergütungen zu kaschieren. Auch hat das Wissen über die Höhe der Vergütung in anderen Unternehmen zu höheren Gehaltsforderungen in den Lohnverhandlungen der Topkader geführt. In der Folge sind die Vergütungen durch die Transparenz tendenziell gestiegen. Im schlimmsten Fall kann eine Lohntransparenz in Unternehmen zu Demotivation bis hin zu Frustration führen. Denn wie man weiss, vergleichen wir uns meist mit denen, die mehr haben als wir. Wie der bedeutende Philosoph Søren Kierkegaard bereits schrieb, ist «der Vergleich die Wurzel allen Übels».
Lohnsysteme von Unternehmen in der Schweiz müssen dem in Artikel 8 der Bundesverfassung festgehaltenen Prinzip «gleicher Lohn für die gleichwertige Arbeit» folgen – unabhängig von Geschlecht, aber auch unabhängig von anderen Faktoren wie Herkunft, Alter oder Lebensform. Auch sollte ein Lohnsystem nachvollziehbar und in Bandbreiten einschätzbar sein. Eine faire und nachvollziehbare Lohnpolitik ist heute in Unternehmen mit einer hohen Arbeitszufriedenheit der Standard. Eine vollkommene Lohntransparenz würde ebendiese Zufriedenheit wieder gefährden. Nicht zuletzt scheint der Ruf nach mehr Transparenz in Zeiten des gläsernen Menschen geradezu aus der Zeit gegriffen. Und dies in einem so privaten Bereich wie den Einkommensverhältnissen.
Lea Bühler
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Aussenbeziehungen, Staatskanzlei