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«Wir kommen in eine neue Welt»

Sie treiben zusammen mit anderen die künstliche Intelligenz im Kanton St. Gallen voran: Ruth Frischknecht, Projektleiterin in der Staatskanzlei, Daniel Locher, Leiter Datenmanagement im Dienst für Informatikplanung, und Jan Wunder, Leiter der Fachstelle für Statistik. Wo stehen wir? Ein Gespräch über eine Technologie, die sich rasant entwickelt und deshalb Leitplanken benötigt.

Interview Luca Ghiselli | Fotos Urs Bucher

«Wir kommen in eine neue Welt»

Sie treiben zusammen mit anderen die künstliche Intelligenz im Kanton St. Gallen voran: Ruth Frischknecht, Projektleiterin in der Staatskanzlei, Daniel Locher, Leiter Datenmanagement im Dienst für Informatikplanung, und Jan Wunder, Leiter der Fachstelle für Statistik. Wo stehen wir? Ein Gespräch über eine Technologie, die sich rasant entwickelt und deshalb Leitplanken benötigt.

Interview Luca Ghiselli | Fotos Urs Bucher

Was habt ihr die KI zuletzt gefragt – und warum?
Ruth: Ich habe gestern einen schwierigen Text geschrieben und habe um Hilfe bei der Formulierung gebeten. Ich finde, das kann die KI sehr gut, und dafür nutze ich sie auch regelmässig.

Daniel: Ich habe ein Bild erstellen lassen für die Präsentation der Informatiktagung. Ich habe leider kein Illustrationstalent, und bei KI kommen manchmal erstaunlich gute Ergebnisse heraus.

Jan: Ich habe gestern einen Chatbot benutzt, der auf die Verwertung statistischer Daten spezialisiert ist. Dieser greift auf speziell verlinkte maschinenlesbare Daten zu (Linked Open Data), einen Bereich, den wir in der Fachstelle für Statistik derzeit vertieft prüfen, da diese verlinkten Daten sehr gut mit Chatbots zusammenspielen können.

Ruth: Da fällt mir ein: Ich habe gestern auch die KI-Suche genutzt, die der Kanton auf seiner Webseite testet. Ich habe ein Organigramm des Kantons gesucht und wurde auf herkömmlichem Weg nicht sofort fündig.

Und da hat die KI-Suche geholfen? 
Ruth: Ja. Sie hat das Organigramm schneller gefunden als ich.

Viele Mitarbeitende des Kantons sammeln aktuell Erfahrungen mit KI. Dürfen sie das?
Ruth: Ja natürlich! Allerdings innerhalb bestimmter Richtlinien. Solange man etwa die Datenschutzbestimmungen einhält, können und sollen Mitarbeitende KI nutzen und Erfahrungen sammeln.

Jan: Man muss diesen Weg gehen, das ist ein Gebot der Zeit. Und wir müssen parat sein. Es ist ähnlich wie damals, als das Internet aufkam: An einer solchen Schwelle stehen wir – und nicht vor einer kleinen Optimierung.

Personendaten aber sind tabu.
Ruth: Richtig, geschützte Daten gehören nicht in solche Systeme, zum Beispiel auch Regierungsgeschäfte, solange sie sich noch in Erarbeitung befinden.

Daniel: Die Kunst besteht darin, Lösungen zu finden, in die auch vertrauliche oder geheime Daten eingegeben werden können und bei denen der technische Rahmen so eng gesetzt wird, dass der Datenschutz und die Informationssicherheit eingehalten werden können und nur Berechtigte Zugriff haben. Da gibt es Initiativen, die abklären sollen, wie das möglich wäre.

«Wir können niemanden zwingen, KI zu verwenden, aber wir können sie oder ihn dazu einladen und motivieren.»

Es ist also nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht: Warum stellt der Kanton dann keine Lizenzen – etwa für Chat GPT – zur Verfügung?
Daniel: Das Thema Lizenzen gehen wir an. Wir können davon ausgehen, dass wir mittelfristig eine Lizenz für einen Chatbot zur Verfügung haben werden. Wie genau wir das lösen, ist aber noch offen.

Welche Optionen gibt es denn?
Daniel: Es gibt ganz viele Modelle, und alle können etwas ein bisschen besser als andere. Das wechselt jedoch teils wöchentlich. Kommt hinzu: Mit der Einführung von M365 haben wir mit dem KI-gestützten Tool «Copilot» bereits einen integrierten Chatbot von Microsoft. Derzeit klären wir ab, ob wir auf diesen setzen oder ob ein anderes Produkt unsere Bedürfnisse besser abdeckt.

Ruth Frischknecht, Projektleiterin in der Staatskanzlei

Wie sieht dieser Prozess konkret aus?
Ruth: Das braucht seine Zeit, weil man mehrere Optionen prüfen muss. Da stellen sich nicht nur technische, sondern auch organisatorische, rechtliche und finanzielle Fragen. Das eine ist die Lizenzlösung, das andere wäre die Integration von KI in Fachapplikationen eine ganz andere Frage.

Also eine integrierte KI-Funktion in der Kantonssoftware.
Ruth: Ja. Ein Amt verarbeitet beispielsweise Daten und kann daraus mit einem Algorithmus Muster erkennen, Prognosen machen und so weiter. Für so etwas bräuchte es Speziallösungen.

Jan: Wir programmieren sehr viel. Da gibt es zum Beispiel den GitHub Copilot (auch von Microsoft), der auf das Programmieren spezialisiert ist. Dieser ergänzt die Frage: Brauchen wir das wirklich? Auch wegen des Energieverbrauchs. Werden wir nicht wie der Autofahrer, der blind dem Navi nachfährt?

Das musst du mir erklären.
Jan: Man fährt dem Navi nach, schaltet fast sein Gehirn aus und kommt irgendwie an. Und verliert den Orientierungssinn, den man früher benötigte. Ähnlich kann es beim Programmieren sein – oder auch bei anderen Aufgaben, in denen uns KI unterstützt. Ich will damit sagen: Es gilt vieles abzuwägen, entsprechend finde ich es gar nicht schlecht, dass man sich zunächst mal umsieht und vertiefte Abklärungen trifft.

Ihr habt vorhin Parallelen zum Aufkommen des Internets gezogen. Auch damals war der Wissensstand sehr unterschiedlich. Das führt auch zu Unsicherheiten. Was sagt ihr einer Person, die noch nie KI verwendet hat?
Ruth: Das ist in Ordnung, es ist für alle neu. Man kann niemanden zwingen, aber dazu einladen und motivieren. Da sind auch die Vorgesetzten und Teamgspänli gefragt. Wir drei hier sehen nicht in jedes Büro hinein. Wir möchten Angebote schaffen, damit sich Interessierte informieren und weiterbilden können – der «Promptathon» und das «Forum Künstliche Intelligenz » sind hierfür gute Beispiele.

Daniel: In diesem Zusammenhang ist das Mindset wichtig. Man denke an den Wertekompass: Neugierig sein, mutig sein. Ich stelle jedenfalls fest: In vielen Departementen ist dieser Funke bereits übergesprungen, eine Nutzung findet privat wie geschäftlich bereits statt.

Jan: Es liegt auf der Hand, dass fast alle KI nutzen werden – auf ganz verschiedenen Ebenen. Auch weil die Einstiegsebene so intuitiv ist. Es ist ein Assistent, der einem hilft, sich in der eigenen Datenwelt zurecht zu finden. Und wer soll so etwas nicht haben wollen? 

Es geht nicht um eine kleine Optimierung. Wir stehen an einer Schwelle wie damals, als das Internet aufkam.

Oft ist davon die Rede, dass die KI gewisse Jobprofile überflüssig machen wird. Wird der Blick aufs Personal, etwa bei Weiterbildungen oder bei der Umschulung auf neue Jobprofile, bereits mitgedacht?
Ruth: Fragen zur Aus- und Weiterbildung spielen auch aktuell eine Rolle. Allerdings geht es in einem ersten Schritt darum zu zeigen, was KI überhaupt ist und was sie kann. Längerfristig ist es denkbar, dass Themen wie neue Jobprofile aufgegriffen werden. KI wird viele Berufe beeinflussen oder verändern. Das gilt nicht nur in der kantonalen Verwaltung.

Daniel: Es ist wichtig, dass wir transparent sind und den Mitarbeitenden objektiv aufzeigen, welche Auswirkungen es geben könnte und welche nicht. Die Angst, dass wir in der kantonalen Verwaltung einen wirklichen Personalabbau wegen KI haben werden, scheint mir unbegründet. Aber es wird Veränderungen geben. Es wird sicher neue Jobs brauchen im Zusammenhang mit KI.

Welche denn?
Daniel: Ich denke an die technische Unterstützung sowie an die Führung und Steuerung der KI. Jemand muss sich darum kümmern. Das kann zunächst einen personellen Zuwachs bedeuten, aber mittel- und langfristig braucht es diese zusätzliche Personalressourcen vielleicht nicht mehr.

Ruth: Der Fokus wird ein anderer. Einiges, das wir heute machen, wird vielleicht nicht mehr stark gefragt sein. Dafür wird der Mensch anders gebraucht: Mehr Interaktion, mehr Ideenentwicklung.

Jan: Das glaube ich auch. Wir haben das Internet als Sprung genannt, das ist eine Weile her. Seither haben wir mehr oder weniger 20 Jahre lang ähnliche Dinge gemacht. Jetzt wird es anders, das merken wir auch in der Fachstelle für Statistik. Wir kommen mit modernen Algorithmen und selbstlernenden Systemen in eine neue Welt: Die KI entwickelt aus bereitgestellten Informationen und ihrem «Allgemeinwissen» eigenständig Lösungen. Das ist eine andere Art, Statistiken zu erstellen. 

 

Jan Wunder, Leiter der Fachstelle für Statistik

Kurz und knapp: Was ist die grösste Chance von KI für die Arbeit in der Verwaltung?
Ruth: Wir können effektiver werden. Das, was wir tun, besser machen.

Daniel: Mit der Effektivität geht die Effizienz einher. Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Mitarbeitende bald pensioniert werden, ist klar: Wir werden nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Arbeitskräftemangel haben. Da sehe ich KI als Chance, die Lücken zu füllen. Gerade bei Aufgaben, die man an eine Assistenz delegieren kann.

Jan: Ich schliesse nicht aus, dass ein Algorithmus in fünf Jahren von mir den Auftrag erhält: «Durchforste diese Verwaltungsdaten nach Erkenntnissen.» Es geht dann mehr darum, die KI zu kontrollieren und zu überwachen. Sicherzustellen, dass sie fair ist und mit Blick auf den Energieverbrauch auch zielgerichtet eingesetzt wird. 

Da lässt sich direkt anschliessen: Wo seht ihr die grössten Risiken?
Ruth: Es ist sehr wichtig, dass wir nicht den Überblick verlieren. Wir geben wichtige Aufgaben an die KI ab. Und ihre Lösungen dazu sind per se intransparent. Ich sehe das Risiko, dass wir selbst nicht mehr verstehen, was wir machen, und schlechte Entscheidungen treffen.

Daniel: Die hohe Verfügbarkeit dieser Technologie kann auch dazu führen, dass man sich Pseudowissen aneignet, das man selbst nicht versteht oder erklären kann. Das ist eine Gefahr. Der Effizienzgewinn kann durch eine Überbeanspruchung der KI schnell verpuffen. Das finde ich knifflig.

Daniel Locher, Leiter Datenmanagement im Dienst für Informatikplanung

Jan: Wir sollten nicht an den Punkt kommen, an dem wir die KI fragen: «Wie könnte die Bevölkerung des Kantons 2050 aussehen?» und erhalten dann einfach eine Zahl, deren Zustandekommen man nicht nachprüfen kann. Da ist ein Zwischenweg nötig. Alles muss nachvollziehbar und transparent sein – bis in den Code hinein. Das hilft auch der Kooperation über die Kantonsgrenzen hinaus. Eine solche Kooperation ist aus meiner Sicht nötig, denn das Thema ist so gross und komplex, dass das kein einzelner Kanton allein stemmen kann.

Wir werden einen Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel haben. Da sehe ich KI als Chance.

Aktuell läuft eine KI-Potenzialanalyse gemeinsam mit anderen Ostschweizer Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein. Wie wichtig ist diese Kooperation?
Ruth: Es ist zentral, dass wir zusammenarbeiten, um Synergien frühzeitig zu erkennen und voneinander zu lernen. Das betrifft alle Staatsebenen: Die Gemeinden sind zum Beispiel in der Arbeitsgruppe KI sowie im Steuerungsausschuss vertreten. Jan und ich, aber auch andere Personen wie Olaf Sparka arbeiten in Gremien des Bundes oder der Digitalen Verwaltung Schweiz mit.

Zum Schluss: Gibt es auch Bereiche, von denen die KI ausgeschlossen werden sollte?
Ruth: In der Schweiz gibt es bisher kein KI-Gesetz, das genaue Vorgaben dazu macht. Ich persönlich glaube aber, ja. Mir sagt der Ansatz der EU zu, der risikobasiert ist. Das heisst, es gibt Bereiche, in denen KI verboten ist, weil sie sich nicht mit demokratischen Werten vereinbaren lässt. Dann gibt es Bereiche mit hohem Risiko, die zum Beispiel den Zugang zu Bildung betreffen, bei denen man sehr vorsichtig sein muss. Wenn wir etwa eine KI entscheiden lassen, wer eine Ausbildung absolvieren darf und wer nicht, betrifft das die Chancengleichheit. Etwas das wir garantieren wollen, aber mit dem Einsatz von KI unter Umständen nicht mehr können.

Daniel: Einverstanden. Ob’s dann nicht doch gemacht wird, da bin ich skeptisch.