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Alte Schriften, neue Technologie

Das Entziffern alter Handschriften ist aufwändige Detektivarbeit. Nora Jäggi von der Kantonsbibliothek Vadiana erklärt, wie künstliche Intelligenz sie dabei unterstützt und weshalb sie auch die Dienstleistung einer Bibliothek verbessert.

Text Lena Müller | Foto Thomas Hary

Alte Schriften, neue Technologie

Das Entziffern alter Handschriften ist aufwändige Detektivarbeit. Nora Jäggi von der Kantonsbibliothek Vadiana erklärt, wie künstliche Intelligenz sie dabei unterstützt und weshalb sie auch die Dienstleistung einer Bibliothek verbessert.

Text Lena Müller | Foto Thomas Hary

«Es gäbe so unendlich viel zu transkribieren», sagt Nora Jäggi und zeigt auf die gut gefüllten Regalreihen. Allein hier im Magazin der Kantonsbibliothek Vadiana lagern tausende handschriftliche Quellen. Und nur die wenigsten davon sind schon entziffert und digital verfügbar. Denn Transkribieren ist ein Knochenjob: «Jeder, der das schon einmal gemacht hat, weiss, wie aufwändig es ist», erzählt die Kulturwissenschaftlerin.

Wir haben immer mehr Ideen als Ressourcen.

Seit kurzem hilft «Transkribus» mit, die von Hand geschriebenen Dokumente zu erschliessen. Das KI-Tool ist seit diesem Jahr auf der nationalen Plattform für digitalisierte, handschriftliche Quellen e-manuscripta eingebunden. Angst, dass ihr wegen der neusten technologischen Entwicklungen die Arbeit ausgeht, hat die 35-jährige nicht. Sie ist froh um die Unterstützung, denn: «Wir haben immer mehr Ideen als Ressourcen.» Und Fachwissen bleibt wichtig. Die Software liefert nur einen ersten Vorschlag für ein Transkript, dieser muss geprüft und ergänzt werden. Fehlt die Struktur in einem Dokument, wurden Notizen an den Rand gekritzelt oder Skizzen reingezeichnet, kommt die künstliche Intelligenz an ihre Grenzen.

Uralte Quellen und modernste Technologie stehen also nicht im Widerspruch? «Im Gegenteil», sagt Nora, «bei historischen Dokumenten müssen wir keine Urheberrechte mehr berücksichtigen, das erleichtert den Einsatz von künstlicher Intelligenz massiv.» Die Inhalte können für alle frei zugänglich ins Internet gestellt werden.  

Bibliothek als Ort von Information und Austausch

Die Zusammenarbeit in der Bibliotheklandschaft funktioniere gut und sei gerade bei einem so komplexen Thema wie KI entscheidend. Damit Bibliotheken am Puls der Zeit bleiben, bietet Nora eine Weiterbildung für Bibliotheksmitarbeitende zum Thema KI im Bibliotheksalltag an. Sie ist überzeugt: «Künstliche Intelligenz kann helfen, unsere Dienstleistungen zu verbessern.» KI-Programme ermöglichen zum Beispiel das Katalogisieren von fremdsprachigen Medien – auch wenn niemand im Team diese Sprache spricht. Bibliotheken können ihren Besucherinnen und Besuchern einen niederschwelligen Zugang zur neuen Technologie bieten. An vielen Orten wurden Projekte gestartet, in denen man KI ausprobieren, den Umgang damit lernen und sich darüber austauschen kann.

Transkriptionsprojekt 

Spurensuche in historischen Quellen In der Sammlung «Sangallensien» dokumentieren Medien wie Bücher, Zeitungen oder Ton- und Filmaufnahmen
mit Bezug zum Kanton die Geschichte und Gegenwart von St.Gallen. Zum 200-Jahr-Jubliäum der Sammlung lädt die Vadiana alle Interessierten ein, sich an der Transkription der Schenkungsverzeichnisse zu beteiligen. Der Bibliothek ein Buch zu schenken war früher ein Statussymbol, eine Eintrittsbillett in das «who is who» von St.Gallen. Die Verzeichnisse liefern also Informationen über die Herkunft des Bestandes und sind zugleich Zeugnisse der damaligen Zeit. Vorkenntnisse brauchen die Teilnehmenden keine, nur das Interesse an detektivischer Spurensuche in historischen Dokumenten.

Eine Einführung ins Handschriftenlesen sowie in die Handhabung der Online-Plattform erhalten sie von den Fachpersonen der Kantonsbibliothek. Es soll nicht nur im stillen Kämmerchen entziffert werden. Mit zwei Editathons möchten die Projektverantwortlichen die Transkribierenden zusammenbringen. Interessierte können sich melden unter giuanna.beeli@sg.ch.

Diesen Austausch findet Nora wichtig. «Wir dürfen die
emotionale Ebene nicht vergessen. Die Ungewissheit,
welche Veränderungen KI mit sich bringen wird, weckt
bei vielen negative Gefühle.» Grundsätzlich ist sie aber
vom Nutzen der neuen Technologie überzeugt: «Ich bin
sicher, dass KI uns künftig in vielem unterstützen kann,
wofür wir sonst keine Kapazitäten hätten.»

Staatsarchiv: Regierungsratsprotokolle durchsuchen mit KI
Die Sitzungsprotokolle der St.Galler Regierung gehören zu den wichtigsten Beständen des Staatsarchivs. Sie dokumentieren die Tätigkeit der Regierung seit der Kantonsgründung und dienen als zentrale Quelle für die kantonale Geschichte. Die KI-gestützte Handschriftenerkennung wurde extra auf die Handschriften der St.Galler Staatsschreiber trainiert. Rund 200 000 Seiten der Regierungsratsprotokolle von 1803 bis 1904 wurden bisher transkribiert und können auf Website sg.transkribus.eu mit einer Volltextsuche durchforstet werden.