Nicole, wer kommt zu dir in die Beratung? Sind das vor allem Schülerinnen und Schüler, die einen passenden Beruf suchen?
Etwas mehr als ein Drittel unserer Klientel sind tatsächlich Jugendliche und ihre Eltern, bei denen die Berufswahl ansteht. Eine weitere Gruppe bilden die jungen Erwachsenen nach der Lehre, die wissen möchten, wie es weitergeht. Bei älteren Erwachsenen heisst das Thema oft Neuorientierung. Bei ihnen besteht vielfach der Wunsch nach einer «sinnvolleren Beschäftigung» oder einem Berufsfeld mit besseren Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten oder Zeitdruck. Für Personen, die etwas «Sinnvolles» machen möchten, sind Berufe im Sozialbereich meist interessant. Bei weniger gut Qualifizierten ist die Nachholbildung ein beliebter Lösungsansatz.
Mit welchen Erwartungen kommen sie zu dir? Wie wirst du diesen gerecht?
Vielen ist die Informationsfindung ein grosses Anliegen. Im Internet findet man viel, kniffliger ist es, diese Informationen einzuordnen. Solche Fragen können oft am ersten Termin geklärt werden. Oftmals ist auch eine Standortbestimmung gefragt. Diese braucht mehr Zeit. Die Klientin oder der Klient muss klären: Was möchte ich? Dabei unterstützt das Beratungsgespräch und bei Bedarf setzen wir auch diagnostische Mittel wie Persönlichkeits- und Interessentests ein. Für die Weiterbildung müssen auch Kosten und Nutzen abgewogen werden. Die Erwartung ist oft, dass alles von selbst läuft. Aber es braucht Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren und Initiative zu ergreifen.
Die Erwartung ist oft, dass alles von selbst läuft. Aber es braucht Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren und Initiative zu ergreifen.
Welche Weiterbildungsangebote sind gerade im Trend?
Aus- und Weiterbildungen im kaufmännischen Bereich liegen seit Jahren im Trend. Eine steigende Nachfrage sehen wir aber auch bei Informatik und Pflegeausbildungen.
Ihr müsst wissen, was für Weiterbildungsangebote es gibt und welche neu hinzukommen. Wie behält man den Überblick?
Für die Beratungen müssen wir stets am Puls sein. Der Austausch mit Bildungsinstitutionen, Arbeitgebenden und Verbänden hilft uns dabei. Zudem beinhaltet die Website berufsberatung.ch eine umfassende Weiterbildungsdatenbank.
Woran erkenne ich die Qualität eines Weiterbildungsangebots?
Eidgenössische Titel haben einen höheren Stellenwert als private Zertifikate. Ich rate, sich gut zu informieren: Wie ist die Erfolgsquote? Wo arbeiten die Absolventinnen und Absolventen? Verfügt der Anbieter über ein anerkanntes Qualitätslabel?
Wie hat sich die Beratungstätigkeit über die Jahre verändert?
Aufgrund verschiedener Faktoren wie Globalisierung, Digitalisierung, gestiegene berufliche Mobilität ist die Nachfrage nach Weiterbildungen gestiegen. Arbeitsfähig zu bleiben, bedingt lebenslanges Lernen und damit eine höhere Nachfrage an Beratungsangeboten von Personen jeglichen Alters. Zudem wollen mehr Personen unterstützt werden, wenn es um die Umsetzung einer Weiterbildung geht. Vor 13 Jahren kamen die Bewerbungen in einer Mappe daher, heute ist alles digital. Viele Junge sind zwar sogenannte «Digital Natives», sind aber oft überfordert, wenn es um eine konkrete Bewerbung geht.
Zur Person
Nicole Koch ist Psychologin. Sie hat sich mit einem Master of Advanced Studies MAS in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung weitergebildet. Heute arbeitet sie bei der kantonalen Beratungsstelle in Wil. Mit knapp 100 Mitarbeitenden, verteilt auf sieben Beratungsstellen, bietet die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) Jugendlichen und Erwachsenen des Kantons St.Gallen wichtige Informationen, individuelle Beratungen und Unterstützung bei der Berufs- und Studienwahl sowie späteren Laufbahnfragen. In St.Gallen wird zudem zentral die Studienberatung für den ganzen Kanton geführt. Die Gesamtleitung obliegt der Zentralstelle für Berufsberatung im Amt für Berufsbildung.
Haben es junge Menschen heute einfacher der schwieriger, sich für eine Ausbildung oder Weiterbildung zu entscheiden?
Es ist eher schwieriger. Sie stehen unter Druck, etwas aus ihrem Leben zu machen. Individualisierung, Multioptionsgesellschaft und der Drang zur Selbstoptimierung machen es jungen Menschen aber nicht einfach, sich für einen Beruf zu entscheiden.