Von der Textilfabrik zur Wohnüberbauung

Einblicke

Michael Niedermann, Kantonaler Denkmalpfleger, Departement des Innern

Einblicke MH MELS 20190918 0245 Cor (4)

Am Anfang war das Wasser. Jenes aus der Seez oberhalb des Dorfes Mels. Dieses sollte 1867 die Gemeinde Mels der neuen «Fabrik» – wie sie inzwischen seit Generationen genannt wird – zur Antriebsnutzung überlassen werden. Die Glarner Textilfirma Heer wollte in Mels eine Spinnerei und Weberei errichten. Die Gemeinde bekam als Gegenleistung Arbeitsplätze. In der Hochblüte des Betriebes waren es bis zu 600. Bei einer Zahl von rund 3’000 Dorfbewohnern und -bewohnerinnen ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Auch ortsbaulich war die Industrie-Anlage nicht zu übersehen. Hoch über dem Dorf thronend war sie – und ist sie heute noch – weit herum sichtbar. 1920 kaufte der St.Galler Grossindustrielle Beat Stoffel die Melser Fabrik und integrierte sie in seinen (zeitweise grössten) schweizerischen Textilkonzern. Die Zeit nach 1960 war vom stufenweisen Niedergang und mehreren Eigentümerwechseln geprägt.

Identifikation schaffen

Die Pionierbauten der Melser Textilfabrik dokumentieren nicht nur in eindrücklicher Weise die Dorfentwicklung in Mels. Sie sind auch wichtige Zeugen einer kulturgeschichtlichen Epoche der gesamten Ostschweiz. Die Gemeinde Mels, der Kanton St.Gallen und die neuen Eigentümer und Investoren haben diesen hohen Wert erkannt und sich gemeinsam für den Erhalt sowie die sinnvolle Umnutzung der repräsentativen Bauten eingesetzt. Die eindrückliche Anlage und deren überragende Stellung im Sarganserland können als einmalige Identifikationsfaktoren für die künftige Nutzung als Wohnüberbauung dienen. Von störenden Bauteilen befreit und durch wohnspezifische An- und Ausbauten ergänzt, entsteht an diesem Ort eine Anlage, welche einen überdurchschnittlichen Wohnwert generiert.

Wohnraum mit viel Luft

Ein Schräglift unterstützt die ortsbauliche Verbindung zum historisch gewachsenen Dorfzentrum.  Denkmalpflegerisch herausfordernd waren zwei Bereiche: einerseits die erforderlichen Balkone und Loggien und anderseits die statischen und brandschutztechnischen Massnahmen bei den strukturellen Bauteilen. Glücklicherweise sind die für das Erscheinungsbild bedeutenden talseitigen Fassaden aufgrund ihrer Exposition (Nord) für Aussenräume nicht geeignet. So liessen sich die Balkone optimal südseitig anordnen. Dort stören sie nicht und brechen die etwas strenge Geschlossenheit der Fassaden auf. Schwieriger war der Umgang mit den Gusseisen-Stützen im Inneren. Als einzige vertikale Tragelemente bilden sie über grosse Grundrissfelder die Innenstruktur. Sie mussten durch Betonscheiben unterstützt werden, welche der ehemaligen Skelettbauweise eine Schotenstruktur überlagert. Wohnungen und Erschliessungsbereiche profitieren von überragenden Geschosshöhen, welchen den grössten Luxus der ganzen Anlage bilden: Luft und Raum.