Denk mal übers Denkmal nach

Denkmalpfleger Moritz Flury schützt typisch St.Gallisches, weil uns dieses erzählt, wer wir sind. So entstehen Denkmäler. Sie regen zum Nachdenken über unsere Geschichte und Herkunft an.

Interview Markus Wehrli

Denk mal übers Denkmal nach

Denkmalpfleger Moritz Flury schützt typisch St.Gallisches, weil uns dieses erzählt, wer wir sind. So entstehen Denkmäler. Sie regen zum Nachdenken über unsere Geschichte und Herkunft an.

Interview Markus Wehrli

Moritz, was ist das eigentlich, ein Denkmal?
Ein Denkmal erinnert an andere Zeiten. Es gibt bewusst gebaute Denkmäler wie das Vadian-Denkmal in der Stadt St.Gallen. Und es gibt Denkmäler, die erst mit der Zeit zu solchen wurden, weil sie zum Beispiel wie Bauten oder Siedlungen über das frühere Leben erzählen. Denkmäler regen zum Nachdenken an. Das ist wichtig für unser Verständnis, wer wir sind und woher wir kommen.

Wie viele Denkmäler gibt es im Kanton St.Gallen?
Es sind total 5300. Davon 2200 kantonale und 100 nationale, der Rest sind lokale Denkmäler.

Wenn die Denkmalpflege etwas als Denkmal klassifiziert, dann legt sie fest, was eben typisch St. Gallen ist, was unser «Dihei» ist – das klingt anspruchsvoll.
Das ist es auch. Die Dinge liegen meist nicht so klar wie bei der Kathedrale St.Gallen. Welches der schönen Toggenburger Bauernhäuser ist ein Denkmal? Ist es die Gruppe von Bauernhäusern oder die ganze Siedlung, welche die Identität ausmacht und deshalb schützenswert ist?

Was dann ist das Kriterium, das über «schützenswert» oder «nicht schützenswert» entscheidet?
Schützenswert ist etwas, wenn es besonders typisch ist und wenn es einzigartig ist. «Typisch» bedeutet, etwas ist repräsentativ für eine Zeit, für eine ganze Lebenswelt. «Einzigartig» ist ein Gebäude etwa dann, wenn es eine ganz spezifische Funktion hatte und so etwas über den Ort und die Geschichte sagt und deshalb ein Zeitzeugnis ist – zum Beispiel das Schotterwerk Sargans, das die Geschichte des Bergbaus am Gonzen dokumentiert.

 

Und was ist das typisch St.Gallische?
Das gibt es so nicht. Der Kanton St.Gallen hat als Ringkanton völlig unterschiedliche Regionen mit eigenen Kulturen und Identitäten. Es ist eine andere Situation wie etwa in Appenzell Innerrhoden, wo Land und Kultur sehr viel einheitlicher sind. St.Gallen ist gerade von seiner Vielfalt geprägt.

Was sind Beispiele, bei denen man heute richtig froh ist, dass früher etwas unter Schutz gestellt wurde?
Das Städtli Werdenberg zum Beispiel. In den 1960er-Jahren gab es erste Bestrebungen, das Städtli zu erhalten. Werdenberg war
damals in sehr schlechtem Zustand, es gab keine Kanalisation, die Holzhäuser waren verwahrlost und am Zerfallen. Der damalige Heimatschutz wollte die Siedlung retten, weil sie seines Erachtens einzigartig war.

Was ist der konkrete Gewinn?
In Werdenberg sind die Häuser noch komplett aus Holz. Die Bauten gehen bis auf 1260 zurück. Weil das Städtli in der ursprünglichen Bauweise erhalten blieb, können wir noch heute unmittelbar ins Mittelalter zurückschauen. Auch die Stadt St. Gallen bestand ursprünglich aus Holzhäusern. Aber diese wurden abgerissen und durch Steinhäuser ersetzt. Werdenberg ist einmalig.

«Stellt man ein Gebäude unter Schutz, muss auch eine neue Nutzung definiert werden. Das Gebäude wird in eine neue Zeit überführt.»

Gibt es auch den umgekehrten Fall: Früher wurde
etwas als schützenswert klassifiziert, aber später fiel dieser Status dann?
In den 1970er- und 80er-Jahren war die Annahme, dass unsere Identität vor allem ländlich ist, weshalb dann auch viele Bauernhäuser unter Schutz gestellt wurden. Diese Sichtweise ist erweitert worden.
Heute gilt St.Gallen auch als Industriekanton, entsprechend stehen heute beispielsweise auch ehemalige Textilindustriebauten wie Stoffel Mels unter Denkmalschutz.

Die Denkmalpflege hat damit auch ein Verhinderer-Image…
Hier gibt es tatsächlich eine Konfliktzone. Es ist ein gesetzlicher Auftrag, Schützenswertes zu erhalten. Dabei geht es aber nicht ausschliesslich um Bewahren. Wird ein Gebäude unter Schutz gestellt, muss auch eine neue Nutzung definiert werden. Denkmalpflege heisst also, etwas in eine neue Zeit überführen und neu nutzen. Stoffel Mels etwa. Die Bauten stehen unter Schutz. Aber in ihnen wird heute gewohnt.

 

 

 

 

 

Zur Person 

Moritz Flury leitet seit 2023 die Denkmalpflege des Kantons St.Gallen. Er hat an der Uni Zürich Kunstgeschichte, Geschichte des Mittelalters und Mittelalterarchäologie studiert.