Michael, Hand aufs Herz: Möchtest du dein Haus an der Thur in Wattwil haben?
Ich wäre sicher froh, dass mit der Thursanierung jetzt etwas für den Hochwasserschutz getan wird. Als Anstösser würde ich die Bauarbeiten vermutlich nicht so toll finden. Aber es gibt gute Gründe, weshalb sie nötig sind.
Du verstehst, dass sich einige über die Sanierung ärgern?
Ich habe Verständnis für die Direktbetroffenen, die für die Sanierung Land hergeben müssen. So was löst Unmut aus. Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn unseren Fachleuten vorgeworfen wird, dass sie ihre Arbeit schlecht machen, und so Misstrauen geschürt wird.
Was ist das Besondere an der Thursanierung Wattwil?
Die Thur gehört hier im Oberlauf in die Kategorie «Wildbach», sie ist ein wilder Fluss. Ihr Einzugsgebiet ist gross und liegt in den Bergen. Wenn es stark regnet, ist ein Hochwasser schnell da. Infolge des Klimawandels mit tendenziell häufigeren starken lokalen Regenfällen wird sich dies akzentuieren. Es ist im Kanton St.Gallen einzigartig, dass ein solch wilder Fluss mitten durch ein Dorf führt. Das zieht auch hohe Begleitkosten nach sich.
… und es ist recht ungemütlich.
Die Thur war ursprünglich ein unverbauter Fluss mit einem breiten Bett. Erst später kam die Siedlung. Wattwil liegt historisch gesehen an der Handelsroute zwischen der Wasserfluh und dem Ricken. Die Siedlung hier ist nach und nach an den Fluss herangewachsen. Mit der Nutzung der Wasserkraft durch Gewerbebetriebe hat sich dieser Trend verstärkt. Es gab in der Blüte der Textilindustrie zwölf Fabriken in Wattwil, zum Teil dicht am Fluss. Wegen der regelmässigen Überschwemmungen wurde die Thur vor rund 110 Jahren begradigt und in Uferverbauungen gefasst. Diese sind heute zu zwei Dritteln teilweise stark beschädigt. Die Situation ist unsicher.
Mit dem Sanierungsprojekt ist nun auch der Widerstand da.
Ja, und er ist mit der «IG für eine vernünftige Thursanierung», die kürzlich einen Verein gegründet hat, sehr gut organisiert. Es geht aber oft vergessen, dass es auch viele Wattwilerinnen und Wattwiler gibt, die keinen Widerstand leisten und hinter dem Projekt stehen.
Trotzdem: Man hat den Eindruck, dass jetzt verbissen um jedes Detail gerungen wird – was ist das?
Ich denke, es geht im Kern darum, dass die Leute etwas abgeben müssen, was ihnen gehört. Das setzt Energien frei, die in diesen Widerstand münden. Natürlich wäre es auf den ersten Blick einfacher, wir könnten die Thur links und rechts in hohe Mauern fassen. Das ist gesetzlich aber nicht möglich und wäre auch teurer als das jetzige Projekt. Deshalb bleibt nur die Flussverbeiterung, womit die Konflikte vorprogrammiert sind. Gegen Hochwasserschutz ist eigentlich niemand. «Aber sicher nicht so», heisst es seitens der Gegner.
Das Misstrauen gegenüber dem Kanton hat sich akzentuiert.
Das Bau- und Umweltdepartement setzt oft grosse Bauvorhaben um. Ist der Ton generell rauer geworden?
Ich kann nur für meinen Bereich sprechen. Ich nehme wahr, dass der Wind rauer geworden ist und sich das Misstrauen gegenüber dem Kanton akzentuiert.
Gibt es im Kanton noch andere «Wattwils»?
Im Bereich der Gewässer nicht. Die Diskussion zur Nutzung der Windkraft kann unter Umständen lokal aber auch eine solche Dynamik annehmen, sobald es um konkrete Projekte geht. Widerstand gibt es zum Beispiel in Au oder in Krinau.
Grossprojekte haben oft Gegner. Überraschen darf der Widerstand nicht. Was habt ihr in Wattwil unternommen, um das aufzufangen?
Wir haben die Bevölkerung schon sehr früh über das Projekt informiert und in mehreren Anlässen die Meinungen und Vorschläge der interessierten Wattwilerinnen und Wattwiler abgeholt. In diesem partizipativen Verfahren sind viele Ideen eingebracht und gemeinsam weiterentwickelt worden. So konnten wir mögliche Konflikte frühzeitig einbeziehen und angehen. Dieser Prozess war fruchtbar. Der Widerstand hat sich erst später formiert. Und man kann es natürlich nie allen recht machen.