07:35 «Heute ist Geburtstag!» Wobei, eigentlich ist die ganze Woche Geburtstag. Denn im Fischereizentrum Steinach schlüpfen diese Woche über hunderttausend klitzekleinen Forellen. Begrüsst werden sie von Betriebsleiter und Fischereiaufseher Jörg Schweizer. Die Brutpflege hat oberste Priorität und steht deshalb jeden Morgen als Erstes an. In kleinen Metallbecken im Wasser treiben so viele Forelleneier, dass man sie von blossem Auge nicht zählen kann. Dazwischen zappeln etwa 18 Millimeter lange, frisch geschlüpfte Fische. Mit einer Feder trennt Jörg die leeren Eierschalen von den geschlüpften Fischen. Er schaut andächtig ins Wasser. «Das ist das Schönste an diesem Beruf: Man sieht mit eigenen Augen, wie Leben entsteht.»

Die Forellen werden nach einigen Wochen wieder in verschiedene Flüsse eingesetzt, denn in vielen Fliessgewässern im Kanton St.Gallen ist die natürliche Reproduktion nur noch sehr eingeschränkt möglich. Die Lebensbedingungen sind nicht immer optimal und nur ein kleiner Teil der Fische überlebt draussen. Deshalb wird hier im Fischereizentrum genügend Nachwuchs gezüchtet. «Ökologische Reparaturwerkstatt», so nennt Jörg seinen Arbeitsplatz.
10:00 Jörg arbeitet eng mit den Fischerinnen und Fischer in der Region zusammen und kontrolliert die Fangnetze, bevor sie für den Einsatz zugelassen werden. Ein Netz um das andere nimmt Jörg schwungvoll aus der mit Wasser gefüllten Kiste und schlingt sie um die Aufhängung. Dann beginnt er zu zählen: 2 – 4 – 6 – 8 – 10 Maschen trennt er ab, spannt sie um ein Messgerät und misst die Maschenweite. «Passt», sagt Jörg. Die Maschenweite muss gross genug sein, damit die jüngeren Tiere nicht im Netz hängenbleiben.
Auch der Transport und das Freilassen der Jungfische, der sogenannte Besatz, gehört zu den Aufgaben der Fischereiaufseher. Thur, Sitter, Glatt, Necker, Bodensee oder sogar der Seealpsee werden mit Jungfischen aus Steinach besetzt. «Fische kennen keine Grenzen», sagt Jörg. Deshalb sei die Zusammenarbeit mit anderen Kantonen oder sogar anderen Ländern besonders wichtig.
12:30 Beim Mittagessen erzählt Jörg, wie er zu seinem Beruf gekommen ist. Nach der Schule erlernte er einen Handwerksberuf und ging wie beinahe jeder junge Mann ins Militär. Eine Begegnung mit einem Fischereiaufseher während einer Militärübung hat dann seine berufliche Laufbahn massgeblich beeinflusst. «Ich wusste gar nicht, dass es diesen Beruf gibt», erinnert er sich zurück. Nach der Begegnung war klar: Er wollte auch Fischereiaufseher werden. Kurz danach hat Jörg sein Glück mit einer Blindbewerbung versucht und hat prompt die Stelle in Steinach bekommen.

13:30 Im Fischereizentrum Steinach dreht sich nicht alles um Jungfische. Jörg beherbergt auch einige regelrechte Brocken. In grossen Becken im Aussenbereich leben weitere Forellen, Saiblinge und Äschen. Sie sind teilweise über acht Jahre alt. Und weil diese Tiere nicht domestiziert sind, ist ihre Haltung sehr anspruchsvoll. Im Gegensatz zu Haustieren sind die Signale, die Wohlbefinden oder Stress anzeigen, oft nur sehr subtil und schwer zu erkennen. Während die Jungfische bereits wenige Wochen nach dem Schlupf ausgewildert werden, bleiben die Elterntiere ein Leben lang im Fischereizentrum. «Mir ist es wichtig, dass die Tiere auch einen schönen Lebensabend haben», sagt der Fischereiaufseher.
14:30 Nebst seiner Arbeit mit den Fischen hält Jörg auch die topmoderne Frischwasser-Fischzuchtanlage in Schuss. Das ausgeklügelte System versorgt alle Becken im Fischereizentrum direkt mit frischem Seewasser aus dem Bodensee. Bevor das Wasser zu den Fischen gelangt, wird es aufbereitet, durchfliesst eine Filteranlage und wird mittels UV-Strahlung entkeimt, bevor es in ein Speicherbecken kommt. Auch gegen gröbere Eindringlinge wie beispielsweise Quagga-Muscheln ist die Anlage mit speziellen Filtern gefeit. Diese Filter werden regelmässig von Jörg kontrolliert und ausgetauscht. «Ich bin sehr froh, dass ich etwas Handwerkliches gelernt habe», sagt Jörg. Das helfe ihm, diese Arbeiten durchführen zu können.
17:10 Für heute hat Jörg Feierabend. Es ist Freitag. Die kleinen Forellen brauchen auch übers Wochenende jemanden, der sich um sie kümmert. Ein «Müssen» ist so ein Wochenenddienst aber nicht. Das fast meditative Fischeierschalen-Abschöpfen helfe ihm, abzuschalten zu können. «Wir verzichten ganz bewusst auf das Abspielen von Tonträgern, denn im hektischen Alltag gibt die stille Arbeit an den Brutrinnen einen wunderbaren Ausgleich.» Und wenn Jörg morgen zur Arbeit kommt, wird er wieder etwas zu feiern haben. Wieder werden Tausende kleiner Forellen geschlüpft sein, die er auf den Weg in die Wildbahn begleitet.


Die gute alte Nase kehrt zurück

Einst galt die «Nase» als Fisch der armen Leute und kam massenhaft in den hiesigen Gewässern vor. Durch Verbauungen und Wasserkraftnutzungen ist ihr Lebensraum stark beeinträchtigt worden. Als Folge davon sind die Bestände dramatisch zusammengebrochen und an den meisten Gewässern gänzlich verschwunden. Der Kanton St.Gallen startete 2018 seine Biodiversitätsstrategie. Dank Renaturierungen und der Beseitigung von Barrieren für die Fischwanderung sowie der Unterstützung des Bestandes durch Wiederansiedlung zeigt sich in den letzten Jahren, dass die Nase langsam wieder zurückkehrt. 2024 wurden im St.Galler Rheintal wieder über 100 ausgewachsene Nasen beim Laichen beobachtet. Diese Entwicklung könnte darauf hinweisen, dass die Nase im Rheintal gerettet werden kann.