Zwischen Laptop und Lerninsel

Im Rahmen der kantonalen IT-Bildungsoffensive erproben St.Galler Berufsfachschulen den Unterricht der Zukunft. Vier Lehrpersonen erzählen, wie sie diesen Transformationsprozess erleben – und wie sich ihre Rolle verändert.

Text Linda Müntener

Zwischen Laptop und Lerninsel

Im Rahmen der kantonalen IT-Bildungsoffensive erproben St.Galler Berufsfachschulen den Unterricht der Zukunft. Vier Lehrpersonen erzählen, wie sie diesen Transformationsprozess erleben – und wie sich ihre Rolle verändert.

Text Linda Müntener

Es ist Vormittag, Mathematik-Unterricht für die angehenden Automatikerinnen und Automatiker am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum St.Gallen (GBS), kein klassischer Frontalunterricht. Während die einen an Lerninseln konzentriert an ihren Laptops Aufgaben lösen, sitzen die anderen im Zimmer nebenan und folgen dem geführten Unterricht. Ein Lernsetting, das man an den St.Galler Berufsfachschulen zunehmend einsetzt: Blended Learning – eine Mischung aus digital gestütztem Selbststudium im eigenen Lerntempo und gemeinschaftlichen Lernphasen, moderiert durch die Lehrperson. Denn hier, im Rahmen der Teilprojekte «Unterricht 4.0» und «Neues Inhalts- und Lernarrangement im ABU» der kantonalen IT-Bildungsoffensive (ITBO), hat die Zukunft des Unterrichts schon begonnen.

Schulen und Lehrpersonen müssen bereit sein, alte Strukturen loszulassen.

An den Berufsfachschulen werden, finanziert durch die ITBO, unter anderem verschiedene Blended-Learning-Umgebungen entwickelt und in der Praxis erprobt. Begleitet von der PHSG tauschen die Beteiligten ihre Erfahrungen aus und schaffen so eine Grundlage und ein Netzwerk, das über die Projektlaufzeit hinaus Bestand haben soll. Die Transformation beschränkt sich dabei nicht auf die Digitalisierung an sich. «Das Umdenken muss in der Gestaltung des Unterrichts sowie des Lernens und Lehrens stattfinden», sagt Heiner Gabele, Fachbereichsleiter Zeichner/-innen Architektur am GBS.

Flexibilität ist Trumpf 
Die digitale Transformation bietet dafür die nötigen Werkzeuge, die pädagogisch-didaktischen Grundsätze von Bildung bleiben weitgehend dieselben. So sagt André Fernandez, Fachschaftsleiter Allgemeinbildung am Berufs- und Weiterbildungszentrum Buchs Sargans: «Wir tun in der Allgemeinbildung das, was wir schon immer getan haben. Wir richten unseren Unterricht thematisch so nahe wie möglich an der Lebenswirklichkeit der Lernenden aus.» Was sich verändert, sind das zugrunde liegende Lehr-Lernverständnis und die damit verbundenen Rollen der Lehrenden und Lernenden.

Die Lernenden bearbeiten Aufgaben, die auf dem digitalen «Learning Management System» Moodle zur Verfügung gestellt werden, und erhalten dazu Inputs der Lehrperson. «Flexibilität ist Trumpf», sagt Karin Schwarz, Fachbereichsleiterin Polygraf/-innen an der Schule für Gestaltung. «Die Lernenden können mit ihrer bevorzugten Lernstrategie im eigenen Tempo lernen und ihre Aufgaben selbst einteilen.»

Vom Wissensvermittler zum Lerncoach
Die Lehrperson unterstützt sie je nach Bedarf individuell – und nimmt eine neue Rolle ein. «Vom Wissensvermittler zum Lerncoach», beschreibt es Marcel Wick, Fachbereichsleiter Allgemeinbildung am Berufs- und Weiterbildungszentrum Rorschach-Rheintal. 

Lernende übernehmen mehr Verantwortung
«Ich stelle den Lernenden die Unterlagen zur Verfügung und unterstütze sie danach individuell. Parallel dazu baue ich kommunikative, kollaborative Sequenzen ein, in denen sie in Gruppen möglichst kreativ tätig sind.» Die Lehrperson muss die Lernumstände jedes Lernenden verfolgen und in der Planung berücksichtigen. Auch für die Lernenden ist das eine Umstellung. «Sie sollen und müssen für ihren Lernprozess und Lernerfolg mehr Verantwortung übernehmen», sagt André Fernandez. Eine gewisse «Konsumhaltung» beobachte man auch in der Bildung, und das vor dem Hintergrund einer wachsenden Überforderung, wenn es darum geht, komplexe Vorgänge zu erfassen.

Es braucht ausreichend Zeit 
Bei Blended Learning wird deshalb das Lernen selbst zum Thema. Lernende sprechen mit ihren Lehrpersonen vermehrt über ihre Lernstrategien. Die ersten Evaluationen fallen positiv aus: Die Lehrpersonen nehmen ihre neue Rolle an, die Lernenden schätzen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. «Die grösste Herausforderung ist das nötige Umdenken. Schulen und Lehrpersonen müssen bereit sein, alte Strukturen loszulassen», sagt Heiner Gabele. Die Lehrpersonen berichten von grossen Unterschieden zwischen den Klassen. Nicht allen gelingt es, digitale Werkzeuge ohne Schwierigkeiten einzusetzen. «Es braucht vor allem ausreichend Zeit, damit sich Lernende, Lehrpersonen und auch Infrastruktur und Rahmenbedingungen den Veränderungen anpassen können», sagt André Fernandez. Die Weichen sind gestellt.