Gegen das Vergessen

Während der Zeit des Nationalsozialismus versuchten Tausende Flüchtlinge an der Landesgrenze im Rheintal in die Schweiz zu gelangen. Viele wurden abgewiesen. Das Departement des Innern engagiert sich für die Realisierung einer nationalen Gedenkstätte.

Text: Davide Scruzzi | Bild: Dietmar Walser

Gegen das Vergessen

Während der Zeit des Nationalsozialismus versuchten Tausende Flüchtlinge an der Landesgrenze im Rheintal in die Schweiz zu gelangen. Viele wurden abgewiesen. Das Departement des Innern engagiert sich für die Realisierung einer nationalen Gedenkstätte.

Text: Davide Scruzzi | Bild: Dietmar Walser

Mitte 2021 haben National- und Ständerat einstimmig Motionen überwiesen, welche die Realisierung eines «Schweizer Orts der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus» verlangen. Für uns im Departement des Innern war klar, wo dieser Ort stehen soll: bei uns! Denn an unserer Landesgrenze ist das Dramatische passiert: die Abweisung von Menschen, die vor dem Holocaust flüchteten, die Aufnahme eines Teils der Flüchtenden und die ganze Geschichte rund um den Polizeikommandanten Paul Grüninger. In den Jahren 1938 und 1939 rettete er mehrere hundert Flüchtlinge vor der Verfolgung durch die Nazis, indem er zum Teil Dokumente fälschte. Dafür wurde er vom Dienst suspendiert – und erst lange nach seinem Tod von der Regierung rehabilitiert.

Für uns war klar, wo das Memorial stehen soll: bei uns!

Doch was genau führte uns und andere dazu, uns in einen Fluss von Überlegungen, Gesprächen und Schreiben zu stürzen? – Zur Fluchtgeschichte wurden zwar Bücher geschrieben und Filme gedreht; was aber fehlt, ist eine Institution, die dieses Wissen vor Ort und natürlich auch im virtuellen Raum so vermittelt, dass es auch die jüngeren Generationen anspricht. Im Gegensatz zu den 1990er-Jahren, als diese historischen Themen innenpolitisch für Schlagzeilen sorgten, drohen sie heute in Vergessenheit zu geraten. Dabei ist die Katastrophe des Holocaust ein zentraler Bruch unserer Zivilisation, der die Zerbrechlichkeit von Demokratien und Grundwerten zeigt – und uns alle zu einem verantwortungsvollen politischen Handeln mahnen muss.

Davide Scruzzi

Eine Idee gewinnt an Fahrt
Die Idee aus St.Gallen ruhte zuerst; die Verantwortlichen
peilten einen Ort in der Bundesstadt an. Plötzlich kam die Sache aber in Fluss. Kurze Mails und längere Texte gingen hin und her, St.Galler Politiker äusserten sich in Bern vom Plan überzeugt, die St.Galler Regierung setzte sinnvolle Rahmenbedingungen. Wir waren nie allein in diesem Fluss von kleinen Schritten. Massgeblich war die Zusammenarbeit mit Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, dessen Grosseltern an jenem Flussarm in Diepoldsau die Flucht in die Schweiz geschafft hatten. Zentral war die Offenheit des Direktors des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy, sich an einem Memorial an der Landesgrenze zu beteiligen.

 

Was fehlt, ist eine Vermittlung, die auch die jüngeren Generationen anspricht.

Im Frühling 2023 fällte der Bundesrat einen Entscheid zugunsten der St.Galler Idee: In der Bundesstadt Bern soll im Rahmen des Memorialkonzepts ein Erinnerungsort entstehen, die Bereiche Vernetzung und Vermittlung sollen aber einem Standort im St.Galler Rheintal zugewiesen werden. Die Vorgabe aus dem Bundesamt für Kultur fokussiert für die Finanzierung aufgrund der gesetzlichen Grundlagen auf die Bildung eines gesamtschweizerischen Netzwerks mit weiteren Institutionen. Der Fluss der Arbeit wurde komplexer, die Netzwerk-Idee garantiert aber eine sinnvolle nationale Abstützung des geplanten Vermittlungszentrums in Diepoldsau.

Zeremonie zum Gedenktag
Dass diese bereits jetzt besteht, bewiesen wir mit der Organisation einer viel beachteten Fachtagung zum Thema im Juni 2024. Ende 2024 überstand die Idee im Bundeshaus alle Beratungen zur neuen Kulturbotschaft und auch finanzpolitische Stromschnellen. Am 27. Januar 2025 fand in Auschwitz eine Zeremonie zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust statt. 

Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nahm daran teil – und erwähnte den geplanten Vermittlungsort in Diepoldsau als neuen Teil der Schweizer Erinnerung an diese Ereignisse. In diesen Monaten wird das Vorhaben durch die Gründung eines Trägervereins mit kantonaler Beteiligung in eine feste Struktur überführt.

 

Noch bleibt viel zu tun

Schrittweise soll ca. 2029 eine innovative Ausstellung beim Zollamt über die gesamtschweizerische Fluchtgeschichte während der Zeit des Nationalsozialismus entstehen. Die Ausstellung wird vom benachbarten, international renommierten Jüdischen Museum mitgeplant und betrieben. Ein Besuch des neuen Vermittlungszentrums kann so mit einem Besuch des bestehenden Museums in Hohenems und des dortigen baulichen Erbes der ehemaligen jüdischen Gemeinde zu einem grenzüberschreitenden Erlebnis kombiniert werden.